Gloriana
um einen mittleren Marktplatz abzugeben. Hier standen Herren und Damen der Hofgesellschaft in Gruppen beisammen, führten Konversation und schenkten dem vorbeieilenden Paar flüchtiges Interesse. Lord Rhoone grüßte einige von ihnen da und dort. »Sir Amadis. Guten Morgen, Meister Wheldrake. Lady Lyst.«
Im Gegensatz zu ihm war Kapitän Quire sorgsam bedacht,
seine wenigen Bekannten nicht zu erkennen, obgleich er mit seinem kapuzenverhüllten Kopf mehr Aufmerksamkeit auf sich lenkte als Lord Rhoone. Dieser führte ihn linker Hand zu einer Tür, von der nur die Klinke zu sehen war, da der Rest sich nicht von der Wandvertäfelung zu beiden Seiten unterschied. Lord Rhoone klopfte, und sie wurden eingelassen.
Lord Montfallcon stand an seinem Kaminfeuer und hatte ih
nen den Rücken zugekehrt. Die Schultern des alten Kriegers
schienen gebeugt. »Rhoone?«
»Er ist hier, Sir.«
»Ich danke Euch.«
Lord Rhoone schob Quire einen Schritt weiter in den Raum, dann ging er mit einem selbstzufriedenen Lächeln hinaus und nahm Quires Degen mit. Quire schickte ihm einen zornigen Blick nach, dann faßte er sich. Er war indes nicht gesonnen, Zeit zu vergeuden, indem er sich demütig stellte. Sein Blick überflog den Raum; alles war, wie er es kannte. Er kratzte sich am Ohr, zog den breitkrempigen Hut unter seinem gestohlenen Umhang hervor, befreite sich von der Kapuze und zeigte wieder sein dunkelhaariges kleines Selbst.
»Kapitän Quire, Sir. Ich tat, wie Ihr mir geheißen habt, und nun bin ich da.«
Lord Montfallcon nickte und zog seinen mit Biberpelz besetzten seidenen Tressenrock über der Brust zusammen, während er sich langsam umwandte. »Ihr seid ein Glückspilz, Quire, nicht wahr?« »Wie immer, Milord.«
»Nicht in der Neujahrsnacht. Ihr wart ungeschickt, habt Euch übernommen und wurdet gesehen.«
»Ich war nicht ungeschickt, Milord«, entgegnete Quire mit erhobener Stimme.
Lord Montfallcon seufzte und musterte ihn mit kaltem, zornigem Blick. »Tinkler brachte mir Eure Notiz. Die Arabien betreffende Nachricht war nützlich. Tatsächlich hatten wir seinem Onkel versichert, er werde in London ungefährdet sein. Wäre ihm nicht der Ruf eines aufbrausenden Temperaments vorausgegangen, der manches von dem, was geschah, erklären mag, würden wir in großer Verlegenheit sein, Quire. Vielleicht hätte ich Euch die vollen Konsequenzen erleiden lassen sollen. Ein Quire, den das Glück verlassen hat, ist ohne Nutzen für mich.«
Quire wärmte sich die Hände. Er begehrte nicht auf, sprach aber mit ruhigem Stolz: »Ihr meint, Sir, Ihr solltet mich töten lassen? Freilich, um dessentwillen, was ich weiß, mag es ratsam erscheinen. Doch bedenkt Sir, daß ich den Fuß nicht mehr werde auf dem Deckel von Pandoras Büchse halten können, wenn ich sterbe, und so werden sich all jene Geheimnisse daraus ergießen, die besser unter Verschluß bleiben. Oder vielleicht würdet Ihr solch vorsichtiger Philosophie nicht zustimmen, Sir, und es vorziehen, mit den dunkleren Geheimnissen der Königin den Doktor Faustus zu spielen?«
Montfallcon hörte ihm aufmerksam zu, nicht aus Interesse am Gegenstand, sondern weil er vermeinte, Einblick in Quires Seele zu gewinnen.
»Wie auch immer, Sir«, fuhr Quire fort, »ich weiß, dies kann nicht der Gang Eurer Gedanken sein. Ihr habt bereits gesehen, daß es der Mühe wert ist, Kapitän Quires Leben zu erhalten. Um jeden Preis, wie? Denn ich bin der Cerberos, dazu abgerichtet, die Teufel und die Verdammten daran zu hindern, daß sie dem Hades entkommen. Ich bin der Beschützer Eurer Sicherheit, Lord Montfallcon. Ihr ehrt mich nicht hinreichend.« Montfallcon fand, daß Quire zu weit gegangen sei und sich so verraten habe, und er entspannte sich weiter. »Ach, der Cerberos ist ein mißverstandener Hund, nicht wahr?« »Ein schlecht behandelter Hund, Milord. Sir Christophers Kerkermeister behandelten mich schändlich, und ich bekam die schlimmste Zelle im Marshalsea. Weil ich Eurem Plan zugestimmt hatte, waren meine Erwartungen auf Besseres gerichtet gewesen. Auch wurde meine Identität nicht vollständig verborgen …«
»Meine Belohnung für Euch, Quire, ist Eure Freiheit. Ich rettete sie.«
»Ich riskierte sie, Sir – und floh nicht. Ich bin der beste Mann, den Ihr in London, in ganz Albion habt. Denn ich bin ein Künstler, wie Ihr wohl wißt. Und ich bin unverwundbar.« »Das macht Euch in mancherlei Weise zu einem zweifelhaften Diener, Kapitän Quire. Ihr seid zu intelligent für diese
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