Gloriana
nickte, ohne recht hinzuhören, denn sie hatte nur zu gut begriffen, worauf er hinauswollte. Sie ließ sich ihr Glas auffüllen.
Lord Gorius Ransley, Großhofmeister der Königin und neben dem Sarazenen sitzend, wandte seinen mit künstlicher Lockenpracht prangenden Kopf, um den Sprecher sehen zu können. Er zupfte die Spitzenmanschetten von den Handgelenken zurück und spießte ein Stück Geflügel auf sein Messer. »Ihr werdet Euch erinnern, daß in Polen der König gewählt wird.« »Unter denen, die erbfolgeberechtigt sind«, ergänzte Prinz Sharyar. Er tat, als bemerke er die finsteren Blicke nicht, die er von verschiedenen Ratsmitgliedern empfing. »Aber der alte König Hern«, fuhr er fort, »dezimierte seine Rivalen derart erfolgreich, daß es in Albion keinen Thronfolger gibt …« »Sir!« schnaufte Sir Vivien Rich, das pausbäckige Gesicht gerötet, »das ist kein gesittetes Gespräch!«
»Ich bin sicher, ich sage nichts, was nicht bereits Gegenstand nüchterner Gespräche unter jenen gewesen ist, denen Albions Wohlfahrt am Herzen liegt«, sagte Prinz Sharyar in scheinbarer Bescheidenheit. »Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich naiv gewesen bin.«
Dr. John Dee war nicht der einzige unter den Anwesenden, die sich stellvertretend für die Königin betroffen fühlten, mochte Gloriana auch so tun, als habe sie überhört, was gesagt worden war. »Mindestens das seid Ihr gewesen, Sir.« Er versuchte die wachsende Spannung zwischen den Teilnehmern an der Tafelrunde zu zerstreuen. »Außerdem ist alles das spekulativ, suggeriert es doch, daß unsere Königin sterblich sei! Und alle wissen, daß sie unsterblich ist.« Er hob sein Glas. Die Königin lächelte freundlich, und Dee nahm dies als Billigung. »Ganz Albion ist sicher, daß die Pest niemals über das Land kommen werde!«
»Die Pest?« sagte Oubacha Khan nervös. »Ist irgendwo die Pest ausgebrochen?«
»Es gibt keine Pest in Albion«, erwiderte Sir Vivien, »weil die Königin lebt. Habt Ihr noch nie die Redewendung des gemeinen Volkes gehört ›Hoffen wir, daß die Pest nicht über uns kommt‹? Ihr habt sie gehört, nicht wahr? Es gibt eine Legende, nach der die Pest über Athen kam, als Perikles gestorben war.«
»Aber alle fürchten die Pest. Was hat das zu bedeuten, Sir Vivien?«
Sir Amadis Cornfield grinste, als er Sir Viviens plötzliche Verlegenheit gewahrte, und wendete sein Geschick daran, die gefährliche Stimmung an der Tafel zu entschärfen. »Sie fürchten die Pest nicht – das ist es. Die Redewendung bezieht sich indirekt auf die Gesundheit Ihrer Majestät.«
»Meine Gesundheit?« Gloriana sprach wie jemand, der aus dem Schlaf erwacht. »Meine Gesundheit?«
»Die Pest, Majestät«, sagte Montfallcon. »Ihr kennt die Meinung des einfachen Volkes, daß im Falle Eures Ablebens eine große Pest sogleich über Albion kommen würde.«
Gloriana lachte. »Dann mögen sie es nur glauben, und ich werde in Albion keine Feinde haben. Es könnte mein Leben für immer erhalten.« Sie leerte ihr Glas. Einige lachten mit ihr, aber solch falsche Worte aus diesem traurigen Mund waren nur geeignet, die Gäste in ihrer Nähe auf ihre Stimmung aufmerksam zu machen.
»Recht so, Majestät«, antwortete der alte Lord Ingleborough tapfer. »Hoffen wir, daß jene Republikaner, welche Tradition und damit den Grundstein unseres Staatswesens zerstören möchten, die Prophezeiung stets in acht haben werden!« Und so fügte er der lahmen Gangart sein eigenes Hinken hinzu. Abermals sammelte Sir Amadis seine Energie und stand auf, hob sein Glas. »Ich möchte einen Toast ausbringen: auf das nächste halbe Jahrhundert von Ihrer Majestät Regierung!«
Darauf mußten alle aufstehen und trinken, außer Gloriana.
Bei den Göttern, ich wünschte, ich wäre alt, und mein Körper litt unter den einfacheren Empfindungen der Senilität … War um kann ich mich nicht abfinden? Weil Sichabfinden bedeutet, den Geist absterben zu lassen. Aber es ist Fleisch, das mich umtreibt und quält, Fleisch, nicht Geist. Ach, sie sind eins, wie Gloriana und Albion eins sind … Bin ich zu meiner fruchtlosen Suche verdammt, wie die Ritter in alter Zeit dazu verdammt waren, den Gral zu suchen, den sie niemals finden konnten, weil sie nicht rein waren? Habe ich mich durch ausschweifen des Leben selbst zerstört und das Geheimnis verloren, das ich in der Unschuld hätte finden können? Oh, Vater, dieses Wis sen, das du verlangtest und das ich nicht verweigerte, weil ich dich so
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