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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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Pflichten gemahnt, wandte sich an den Lord von Kansas. »Wir hören, daß Ihr weit von Virginia auf Abenteuerfahrt wart, Milord?«
    »In Ostindien, Majestät, und im Inneren Afrikas, wo ich mehrere neue Staaten entdeckte, die von mächtigen Königen beherrscht werden. Sie behandelten mich mit großer Gastfreundschaft und baten mich, Eurer Majestät ihre Grüße zu überbringen.« Er sprach ruhig und bescheiden, der von ihm
    erwarteten Rolle bewußt.
    »Dann müßt Ihr die Grüße dieser Herrscher erwidern, Milord, solltet Ihr jemals wieder dorthin kommen. Und es gab auch Wilde, nicht wahr?«
    »Viele Stämme, Majestät. Aber auch sie nahmen uns freundlich auf. In den Häuptlingen dieser Stämme lernte ich Männer kennen, die nicht weniger gute Gesellschaft waren als jeder zivilisierte Mann!«
    »Sie sind vielleicht weniger beengt von Zeremoniell und formalen Umgangsformen?«
    »Ganz im Gegenteil, Majestät! Sie scheinen mehr Zeremonien und Rituale zu haben als wir – obgleich solche Dinge von denen, die sie praktizieren, nicht immer als das erkannt werden, was sie sind.«
    »Sehr wahr, Lord Kansas. Habt Ihr die Sprachen dieser Völker erlernt?«
    »Eine oder zwei, Majestät. Ich diskutierte mit ihren Priestern und ihren weisen Männern. Ich glaube, Majestät, man kann zu Recht behaupten, daß das Wissen des Menschen zunimmt, nicht aber sein Geist und Denkvermögen. So ist der Wilde dem zivilisierten Weisen gleich.«
    »Gut gesagt, Lord Kansas!« Sie mochte den schmalgesichtigen, wortkargen Mann mit seiner wettergegerbten Haut, seiner einfachen Stoikertracht (es waren Stoiker gewesen, die Virginia ursprünglich besiedelt hatten) und seiner toleranten Art. Sie ging so weit, ihn als künftigen Gemahl in Erwägung zu ziehen. Denn es ließ sich nicht leugnen, sie mußte einen Gemahl nehmen. Mochte Prinz Sharyars Bemerkung auch auf Ablehnung gestoßen sein, sie hatte den Gedanken aller Ausdruck gegeben, denen Albions fortdauernde Sicherheit am Herzen lag. Aber einen Mann zum Gemahl zu nehmen, der ihr keine Befriedigung zu schaffen vermochte und für den sie gleichwohl ihre Suche aufgeben mußte, wäre Wahnsinn. Albion würde ein ausgehöhltes Symbol haben, das die Struktur des Staatswesens mit Fäulnis infizieren würde. Sie hatte die Vision eines in Flammen stehenden Albion, mit fettigem, schwarzem Rauch, der von Küste zu Küste zog, von Ozean zu Ozean – von grausamen Kriegen, Metzeleien und Verwüstungen.
    Es war eine Vision, die sie seit ihrer Kindheit nicht mehr verlassen hatte und die ihr Mentor, Lord Montfallcon, in ihr wachgehalten hatte. Sie war überzeugt, daß diese Vision sich nur bewahrheiten würde, wenn sie ihre Pflicht vernachlässigte. Und alle waren sich insgeheim einig darin, wo ihre Pflicht lag – in einer Ehe zur Sicherung der Thronfolge …
    Aber sie wissen nicht, wie schwach ich bin. Ich kann diese Verantwortung nicht für alle Zeit tragen. Wenn ich heirate, werde ich meine Bürde teilen, aber aufhören Gloriana zu sein. Und wenn ich nicht Gloriana bleibe, ist Albion in Gefahr. Oder ist das nur Einbildung? Vielleicht sollte ich eine Republik Albion proklamieren? Aber nein, das würde Volk und Adel verzagen lassen und uns schwächen, bis wir unseren Feinden verwundbar erschienen … Republiken entstehen aus Notwen digkeit, nicht aus moralischen Erwägungen … Ich muß meinen Instinkten und meiner Pflicht treu bleiben. Oder sollte ich, wie die Prinzessin im Märchen, öffentlich bekanntmachen, daß ich den ersten Prinzen heiraten werde, der mir Erfüllung bringt, oder daß ich den Großkalifen heiraten und die Tatarei und Polen und den Rest der Welt mit Krieg überziehen werde, um die vereinigten Kräfte und Hilfsmittel nach Vaters Vorbild einer schrecklichen, blutigen Kunst zu weihen? Nein! Ich habe geschworen, daß dies niemals geschehen wird. Mein Bedürfnis muß immer ein privates Bedürfnis bleiben und auf diese Weise auch befriedigt werden … Nur zweimal gelang es meinem Vater, private Erfüllung zu finden; das erste Mal erschuf er mich, das zweite Mal legte er seine Bürde so unverrückbar auf meinen Leib, wie Montfallcon die öffentliche Bürde auf meinen Kopf niederlegte, als er vier Jahre später meine Krönung ins Werk setzte …
    Die Tafel war wieder zur weißen Straße geworden, die Köpfe zu beiden Seiten zu Aasgeiern, die auf Gelegenheit warteten, sich über ihren Kadaver herzumachen. Sie nahm ihre Energie zusammen und verscheuchte die Vorstellung. Solche Bilder hatten ihren Vater

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