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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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halbtot vor Schmerz. Ähnlich verhält es sich mit denen, die den Kindern Lesen und Schreiben beibringen oder die Kranke und Verrückte pflegen, Sir. Ihr Vokabular schrumpft, ihr Stil vereinfacht sich, ihre Kunst wird zur Kunst des Wanderkomödianten, ihr Humor der tölpelhafte Humor des Jahrmarkts.«
    »Und Eure Entschuldigungen langweilen mich, Meister Qui
    re. Ihr seid verabschiedet.« Montfallcon setzte sich.
    Quire trat einen Schritt vor. »Ich biete Euch einfache Wahr
    heit, und Ihr weist sie ab. Ihr fragtet mich, Milord, und ich antwortete. Ich dachte, wir beide sprächen die Wahrheit. Ich dachte, es gäbe keine Zwiespältigkeit zwischen uns. Muß ich lügen, um mir Eure Protektion zu erhalten?«
    »Vielleicht.« Lord Montfallcon legte die Kassette in die Schublade zurück, stieß diese zu und sperrte sie ab. Dann holte er hörbar Atem und sagte: »Wollt Ihr behaupten, ich sei ein schlechter Brotgeber?«
    »Bisher seid Ihr ein vollkommener Dienstherr gewesen, Sir. Haben wir nicht ein Einvernehmen, wie es sich zwischen Männern von gleichem Empfinden einstellt?«
    »In der Tat! Wir haben ein Einvernehmen! Ich bezahle, und Ihr tötet, entführt und konspiriert.«
    »Ein Einvernehmen in bezug auf die erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnisse, Milord.«
    »Freilich, Ihr seid schlau.« Montfallcon blickte irritiert auf. »Was muß ich noch sagen, damit Ihr geht? Gibt es eine Zauberformel? Sucht Ihr öffentliche Ehren? Wünscht Ihr, daß ich Euch zu einem Reichsfürsten mache?«
    »Nein, Milord. Ich sprach von der Kunst dabei, das ist alles. Von meinem Glauben, daß Ihr diese Kunst um ihrer selbst willen zu würdigen wüßtet.«
    »Wenn Ihr so wollt.« Montfallcon winkte ihn hinaus.
Quire war bestürzt. »Was?«
»Geht, Quire! Ich werde Euch rufen lassen.«
»Ihr verletzt mich tief, Sir.«
    »Ich beschütze Euch, Quire«, sagte Montfallcon mit erhobe
    ner, in Erregung bebender Stimme. »Vergeßt das nicht. Es ist Eurem sündhaften Leben gestattet, ungehindert anzudauern ungestraft verübt Ihr Eure Verführungen, Erpressungen und Morde auf eigene Rechnung …« Montfallcon drückte die Fingerspitzen an seine grauen Schläfen. »Ich werde auf Euer zweideutiges Begehren nicht antworten! Dies ist nicht die Zeit … Ich habe wichtige Angelegenheiten zu bedenken. Wichtigere Angelegenheiten als, Quire, als dem Stolz eines Bösewichts auf seine Schelmenkunst zu applaudieren – Geht, geht endlich, Kapitän Quire!«
    Ein Wehen des schwarzen Umhangs, und Quire war verschwunden.

    Als Kapitän Quire auf seinem gewohnten Weg den Palast verließ und in den verwilderten Ziergarten trat, der nun ein Gewirr von knospenden Brombeerranken, ungeschnittenen Rosenstöcken und wucherndem Efeu war, blieb er stehen, um zu der hohen Mauer in seinem Rücken aufzublicken, die Stirn zu runzeln, den Kopf zu schütteln. Sein Stolz war tatsächlich zutiefst verletzt. Er begann diese Empfindung zu untersuchen, als er weiterging, durch das vergessene Tor und den Hügel hinab zu der Baumreihe, wo Tinkler pfeifend am Zaun lehnte und zum zerfetzten, jagenden Wolkenhimmel aufblickte. »Tink.« Quire überstieg den Zaun und blieb neben Tinkler stehen, überblickte den Weg, hin zu Londons Rauch und Dunst.
    »Was ist passiert, Kapitän?« fragte Tinkler. Er war empfindsam, was die Stimmungen seines Meisters betraf, wie nur einer sein kann, der um sein Leben fürchten muß. Er hakte die Daumen in den Gürtel und sah Quire forschend von der Seite an. »Ich bin wie vor den Kopf geschlagen«, murmelte Quire. Er blickte zu Boden, wo seine Stiefelspitze einen Stein hin und her stieß. »Ich dachte, ich sei respektiert. Freilich, da ist der Punkt, wo es schmerzt. Meine Selbstachtung. Ich bin als Künstler unverstanden. Hat niemand eine Vorstellung von der Geschicklichkeit, der Genialität, die zu meiner Arbeit gehört? Habe ich beides nicht immer wieder bewiesen? Wie sonst könnte ich sie beweisen? Wer sonst könnte tun, was ich tue?« »Ich bewundere dich, Käpt’n. Wirklich.« Tinkler versuchte ihn zu beschwichtigen, ohne wirklich Mitgefühl aufzubringen, denn er hatte nicht das Feingefühl, um Haltung oder Gestik zu deuten. »Wir alle bewundern dich – im Walroß, im Greifen und anderswo …«
    »Ich meinte die da oben. Ich dachte, Montfallcon hätte den Verstand und das Feingefühl, einen anderen Künstler zu erkennen und zu würdigen. Ich bin verblüfft, Tink. Er ist nichts als ein Kurhauszyniker!«
    Tinkler glaubte den Grund dieses Mißvergnügens

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