Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
Vom Netzwerk:
erraten zu haben. »Er hat nicht gezahlt, ist es das? Immer ist er …« Er brach ab, als Quire ihm den Beutel in die Hand drückte. »Ah, danke.«
    »Alles das, während ich glaubte, er verstünde die Natur meines Spiels. Er weiß die Finesse, die Ironie davon nicht zu würdigen, vor allem aber versteht er nicht die Vision, das Talent, den nüchternen Scharfblick und die Phantasie, die nötig sind, um die Wirklichkeit zu erkennen und in das Drama umzuwandeln. Ach, Tink!«
    Solche Schaustellungen emotionaler Vertraulichkeit und unerwartete Enthüllungen über das Innenleben seines alten Gefährten und Anführers nicht gewohnt, war Tinkler zugleich fasziniert und um Worte verlegen. »Nun«, sagte er und fiel neben Quire in Schritt, als dieser erregt und mit heftigen Armbewegungen unter dem flatternden Umhang den Pfad weiterging. »Nun, Käpt’n …«
    »Jeder Künstler braucht einen Gönner.« Quire blickte zu den Schwarzpappeln auf, die im Winde schwankten. Er zerrte an seinem fliegendem Umhang, zog sich den Hut tiefer in die Stirn. Die Krähenfedern flatterten steif wie kleine trommelnde Finger gegen den schwarzen Filz. »Hat er keinen Gönner, der seine Arbeit schätzt und anerkennt, muß er bald dahinwelken und sein Talent für billige Münze verkaufen, um dem Mehrheitsgeschmack zu gefallen. Ich habe mich nie darum bemüht,
    der Masse zu gefallen, Tink.« »Nein, kann man nicht sagen.«
    »Mein Reichtum ist bis zum letzen Kupferstück für Material draufgegangen. Um der Kunst willen investiert.« »Du warst immer großzügig, das weiß jeder.«
    »Aber er konnte es nicht verstehen – das und meinen Stolz. Ich nahm seine Beleidigungen hin, seine scheinbare Verachtung, weil ich begriff, daß sie Teil der Rolle waren, die er spielen zu müssen glaubte.«
    »Jeder von uns muß von Zeit zu Zeit Rollen spielen«, sagte Tinkler weise.
    »Und die ganze Zeit zeigte er seinen wahren Charakter, seine wirkliche Meinung von mir! Ach, der alte Dummkopf!« Quire blieb mitten auf dem Weg stehen.
    Voraus und ein wenig unter ihnen kam London in Sicht braunrot, schiefergrau und schmutzigweiß. An den Stadtmauern lehnten die wackligen Bretterbuden und Zelte der Ärmsten; jenseits der Mauerzinnen waren Dächer aus Stroh und grünem Kupfer, aus Schiefer und Ziegeln, Türme und Kuppeln, Tempel des Wissens – Bibliotheken, Gymnasien, Philosophenschulen im Stil griechischer Tempel oder in den älteren spitzbögigen gotischen Formen, prächtig anzuschauen mit ihren Fassaden aus farbig glasierten Ziegeln, Granit und Marmor; und Straße um Straße mit Wohngebäuden, Gasthäusern, Schenken, Ladengeschäften, plakatbeklebten Theatern, Märkten, der Getreidebörse, den Häusern der Kaufmannsgilden und Handwerkerzünfte, den Werkstätten und Galerien, wo Maler und Bildhauer ihre Werke ausstellten …
    Quire verspürte einen Widerwillen, weiterzugehen. Er machte unvermittelt halt und setzte sich auf einen großen, glatten Felsblock abseits vom Wege. »Und wo kann ich in der Welt meine Werke zeigen?«
    »Wie wäre es mit einem Trunk?« schlug Tinkler vor. »Im Walroß?«
    Quire sah eine Abteilung Kavallerie mit Bannern und blitzenden Brustharnischen und Helmen, Federbüschen und bestickten Umhängen die breite Clerkenwell Road entlangtraben, flankiert von den prunkvollen Fassaden der großen Gildenhäuser. Er blickte zum Fluß, weit hinüber schweifte sein Blick zur anderen Seite der Stadt, zu Brans Tower, einem Gebäude von enormem Alter, und dann zu den Barken, Fähren und Galeonen, die unter Segel den Fluß herauf kamen. »Ich hätte ein General oder ein berühmter Seefahrer sein können, der seine Gaben zum eigenen Ruhm und Vorteil einsetzt, ein Liebling des Volkes, geehrt von der Königin. Mit meinem Talent hätte ich der mächtigste Kaufherr Albions sein können, mich selbst und meine Nation zu bereichern, um auf meine alten Tage Bürgermeister von London oder geadelt zu werden. Aber ich scheute solche unwürdigen Beschäftigungen; ich lebte nur für meine Kunst und ihre Vervollkommnung …«
    Tinkler wurde nervös. »Sollten wir nicht lieber gehen?«
    »Geh du nur zu, Tink, und gib das Gold aus. Es könnte das
letzte sein, das du in die Finger bekommst.«
»Du bist entlassen?« Tinkler war entsetzt.
»Nein.«
»Du hast unserem Freund den Dienst aufgekündigt?« fragte
Tinkler besorgt. Seine Lippe zuckte unter den langen, gelben
Zähnen, die sich hineinbohrten.
»Das habe ich nicht gesagt.«
    Tinkler schlug seinen zusammenzuckenden Freund

Weitere Kostenlose Bücher