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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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scheint allzugern glauben zu wollen, daß Montfallcon Euer Verräter ist. Warum?«
    Quire preßte die dünnen Lippen zusammen und sagte nichts. »Montfallcon wird seine schützende Hand nicht über Euch halten«, fuhr Prinz Sharyar gedankenvoll fort, »wenn es das ist, was Ihr meint. Und er wird nicht sehr bedauern, daß ich Euch töte, Kapitän Quire. Nun, welches mögen Montfallcons Beweggründe sein, wenn er Euch verrät?«
    Der Sarazene war schlau, aber Quire sah keinen Schaden darin, die Wahrheit zu antworten:
    »Weil er mich als eine Bedrohung sieht, vielleicht.«
»Wieso eine Bedrohung?«
»Weil ich der bessere Künstler bin.«

»Spionage, Mord und Verrat als Kunst …« Prinz Sharyar fand die Vorstellung anziehend. »Es leuchtet mir ein – ebenso, wie Krieg als eine Kunst betrachtet wird. Ich verstehe Euch, Kapitän Quire. Ihr scheint in Eurem erwählten Beruf nicht Euresgleichen zu haben.«
    Damit hatte er, vor allem wegen der jüngsten Ereignisse, so etwas wie einen Freund gewonnen. Quire beschloß so rasch wie möglich zu sterben, ohne Folter, und dem Sarazenen jedes Geheimnis aufzudecken, das er wußte. Er konnte großzügig sein – wie ein jeder Künstler großzügig ist, wenn ihm von unerwarteter Seite Lob zuteil wird.
    »Ihr genießt den Ruf, Kapitän Quire, auf Eurem Gebiet aufrichtig zu sein.«
    »So ist es. Ihr werdet nicht erleben, daß ich lüge, es sei denn, aus bestimmten Gründen.«
    »Es heißt, auf Euer Wort könne man sich verlassen.«
    »Ich gebe es selten, und niemals ohne sorgfältige Erwägung dessen, was es betrifft. Ihr seht, ich glaube an die Wahrheit.« Quire wälzte sich herum und schob sich aufwärts, bis er mit Kopf und Schultern am bröckelnden Wandverputz lehnte. »Das Leben eines Künstlers ist aus innerer Notwendigkeit voll von Zwiespältigkeiten. Es ist aber nicht gut, Zwiespältigkeit dort gewähren zu lassen, wo sie nicht sein muß. Daher müssen
    Wahrheit und aufrichtige Sprache gepflegt werden.«
    »Ihr seid ein seltsamer Mensch, Meister Mörder. Ich glaube Euch. Seid Ihr verrückt?«
    »Die meisten Künstler werden von jenen, die sie nicht ver
stehen, dafür gehalten.«
»Dann seid Ihr ein Träumer?«
    »Vielleicht. Es hängt davon ab, wie man das Wort gebraucht. Ich wäre gern frei von diesen Stricken, Sir, wenn es Euch nichts ausmacht. Würdet Ihr die Güte haben, sie durchzuschneiden? Besonders die Maschen des Netzes schneiden tief in die Haut ein.«
    »Gebt Ihr mir Euer Wort, daß Ihr keinen Fluchtversuch machen werdet?«
    »Nein, Sir. Aber Eure gedungenen Strolche müssen noch unten sein. Ich verspreche Euch, Eurer Person keinen Schaden zuzufügen, was tatsächlich ein besseres Gelöbnis ist.« »Ich denke auch.« Der Sarazene zog abermals seinen Dolch und schnitt mit kurzen, vorsichtigen Bewegungen die Fesseln auf.
    Quire holte tief Atem, blieb einstweilen sitzen und rieb sich Arme und Beine. »Ich danke Euch, Sir. Nun, vielleicht bin ich Ihnen von Lord Montfallcon in die Hände gespielt worden, vielleicht nicht, aber ich weiß, daß Ihr keine unmittelbaren Pläne habt, mich zu töten. Folglich möchtet Ihr mir einen Handel vorgeschlagen, wie?«
    »Ich sollte Euch töten. Um meinen Neffen zu rächen.« »Der Euch beraubte, wie Euch wohlbekannt war.«
    »Blut ist Blut. Woher wollt Ihr wissen, daß ich Euch nicht doch noch töten werde?«
    »Diese Dinge sind mit Ritualen verbunden, bisweilen unbewußt, wie es überall der Fall ist – Präliminarien, die Schaffung einer bestimmten Stimmung, die sich im Tonfall der Stimme ausdrückt. Ich habe zu meiner Zeit viele Todesgesänge gehört, Milord, und viele gesungen. Ich denke, ich kenne alle Lieder, die Männer singen, bevor sie töten. In ähnlicher Weise gibt es Lieder – Worte, Redewendungen, Rhythmen, sogar Melodien – , die von den Todeskandidaten gesungen werden. Habt Ihr jemals ein solches Lied vernommen, Sir?« »Ich höre Euch keines singen, Kapitän Quire.«
    »Ich tue es nicht, Sir.« Quire erhob sich und ging zu einer Bank, die mit alten Kaffeebohnen bestreut war. Er wischte sie beiseite, daß sie auf die nackten Dielenbretter prasselten und in dem leeren Raum ein raschelndes Echo erzeugten. Quire bückte sich nach seinem Hut und klopfte ihn ab. »Ich genieße das Leben.« »Und den Tod?«
    »Nicht den meinen.« Da er nun wußte, daß er sicher war, wenigstens für eine Weile, hatte Quire allen Stolz zurückgewonnen, den sein Treffen mit Montfallcon ihm zeitweilig genommen hatte.
    »Wie viele Personen

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