Glueck allein
Januar waren meine Klausuren gewesen und ich hatte den ganzen Dezember gelernt. Natürlich hatte ich zugestimmt, dass er Silvester ohne mich ausgehen könne.
»Du hast mich betrogen«, sagte ich laut zu dem schlafenden Mann, aber seine Augen blieben geschlossen. Zu oft hatte er damals gesagt, er hätte mich nicht verdient.
Ich trottete in die Küche und verstieß gegen alle Vorschriften, die ich seit Jahren einzuhalten versuchte. Butter, Zucker, nachts – bis mir mein Bauch weh tat. Es war längst hell, als ich schlafen konnte.
Gegen Mittag weckte mich Florians Kuss wie eine Ohrfeige. Leo verengte seine Umarmung, aus der ich mich augenblicklich löste.
»Es tut mir leid«, sagte ich so laut, dass er aufwachte, »aber du musst jetzt gehen.«
Nachmittags kam seine Nachricht: »Du hättest mich niemals loslassen sollen.«
Danach war ich allein.
Unebenheiten
Johannes sah mich entgeistert an. »Du kannst doch nicht seine Nachrichten lesen.«
»Sie hat sie nicht nur gelesen, sondern auch beantwortet«, sagte Pierre mit geblähter Brust, als sei er der Staatsanwalt dieses Verfahrens.
»Was hast du dir bloß dabei gedacht?«, fragte Johannes erneut.
»Und ob er tatsächlich etwas mit der Frau gehabt hat, weißt du ja gar nicht«, trompetete Pierre, was er jedoch sogleich wieder zurücknahm, als er meine tödlichen Blicke sah.
»Ich weiß, dass es falsch war«, sagte ich und zog meine Beine an die Brust. »Aber es rückt alles in ein anderes Licht.«
»Das ändert nichts. Du bist zu weit gegangen«, sagte Johannes und sah mich vorwurfsvoll an. Das wahnsinnige Blau seiner Augen machte mich wütend.
»Dir würde so was natürlich nie passieren«, entgegnete ich gereizt. »Bei dir gibt es kein Unkraut im Garten, bei dir wächst alles schön in Reihenform.«
Johannes zuckte mit den Schultern. »Es würde mir nicht passieren.«
»Mir würde so etwas auch niemals passieren«, rief Pierre mit erhobenem Zeigefinger. »Niemals würde mir so etwas passieren. Das ist doch verrückt! Das ist mehr noch, das ist...«
»Pierre, halt die Klappe«, unterbrach ihn Johannes scharf.
»Ja?« Aus Pierres Gesicht sprach reine, kindliche Unschuld.
»Du wolltest die ganze Zeit deine Sachen von meinem Tisch räumen. Vielleicht machst du das jetzt?«
»Jetzt?«
»Ja, jetzt.«
Mit beleidigter Miene machte sich Pierre auf den Weg. Vor mir blieb er stehen und stach erneut mit dem Zeigefinger in die Luft: »Dennoch, Emilia, dein Verhalten bleibt unentschuldbar.«
Schweigend verbarg ich mein Gesicht zwischen meinen Knien, bis er gegangen war. Als ich aufblickte, sah mich Johannes nachdenklich an.
»Versuch doch wenigstens mich zu verstehen«, bat ich ihn leise.
»Das versuche ich ja, Emilia.« Er kratzte mit dem Fingernagel eine Unebenheit von der Fensterbank. »Schon die ganze Zeit.«
Fiebertage
Ich fühlte mich zu schwach, um aufzustehen und zu wach, um zu schlafen. Meine Mutter stürzte in meine Wohnung und ihre Blicke waren besorgt. Ich nahm die Tabletten, die sie mir gab und trank den Tee, den sie mir kochte. Aber jeder Schluck war ein Stich in meine entzündeten Mandeln.
Ich dachte an Florian und dass er nur hätte sagen müssen: Sie bedeutet mir nichts. Und dass er diese Worte niemals sagte, da ich ihm nichts bedeutete. Ich dachte an Leo, der schon längst jemand anders geworden war, als ich noch mit meiner ganzen Liebe versuchte, ihn zu verstehen. Und ich dachte an Johannes Blick, wie er sich bei unserem letzten Gespräch verändert hatte.
»Was stimmt mit mir nicht?«, fragte ich meine Mutter. Ihre kühle Hand lag auf meiner Stirn.
»Du hast Fieber«, sagte sie.
»Das meine ich nicht«, flüsterte ich und stemmte mich aus dem Bett. Ich fuhr den Computer hoch und sah, dass es keine Nachricht gab, die mich hätte retten können.
»Auf was wartest du denn?«, fragte meine Mutter.
»Auf jemanden, der mich glücklich macht«, sagte ich und Tränen schossen in meine Augen.
»Kind«, sagte meine Mutter seufzend, »Veränderungen geschehen hier« und legte ihre Hand auf meine Brust. Als sie ging, erfasste mich dort eine schwitzende Kälte, die mich erzittern ließ.
Das Böse im Menschen
Es war viel los in der Stadt. Die Luft war trocken und Klänge von Gitarren wehten uns entgegen. Schon der erste Ton hatte mich traurig gemacht.
»Wir können ja auch in die Sonnenfinsternis gehen«, schlug ich Hanna vor, als sei es mir gerade eingefallen. Ich hatte eine ganze Woche zu Hause im Bett verbracht,
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