Glück, ich sehe dich anders
Mal morgens vor unserer Haustür – um halb sieben. Das war viel zu früh, denn ich hätte Louise dann bereits um sechs Uhr wecken und aus dem Tiefschlaf reißen müssen, was nahezu unmöglich war. Also bemühten wir uns um eine andere Lösung, stellten einen Antrag auf eine spätere Abholung, gegebenenfalls auf eine Taxibeförderung. Bis zur Entscheidung über dieses Antragsverfahren fuhr ich Louise morgens selbst zum Kindergarten und ließ sie lediglich mit dem Bus zurückfahren. Das Bringen war sehr anstrengend, da auch Loreen morgens immer mitmusste. Sie hatte aufgrund ihrer nächtlichen Unruhe am Morgen jedoch meist großen Schlafbedarf und ließ sich kaum wecken, geschweige denn fertig machen. Das war jedes Mal ein Aufstand. Das Busunternehmen des Kindergartens regelte dann spontan eine Abholung morgens um halb neun. Obwohl der Kindergarten bereits um acht Uhr begann, versäumte Louise zwischen acht und neun nicht viel.
Die lange Fahrt allein am Morgen – der Kindergarten lag von unserem Wohnort dreißig Kilometer entfernt – war neu für Louise, und es zerriss mir jedes Mal das Herz, wenn der Bus losfuhr, sie ganz artig auf ihrem Platz saß und mir zum Abschied zuwinkte. Um ein Uhr war der Kindergarten mittags beendet. Louise schlief dann während der Heimfahrt und war gegen zwei Uhr zu Hause. Sie war immer gut gelaunt, und bereits nach einer kurzen Eingewöhnungszeit klappte alles prima.
Louise machte der Kindergarten sehr viel Spaß. Sie lernte plötzlich erstaunlich schnell das Laufen, allein zu essen und zu trinken. Sie fing an zu erzählen und machte Fingerspiele. Sie wollte uns alles zeigen, was sie im Kindergarten gelernt hatte. Morgens stand sie wartend mit Jacke und mit ihrer Kindergartentasche vor der Haustür. Wenn sie den Motor des Busses hörte, rief sie aufgeregt: »Bo, Bo, Bo!«
Die Spielkameraden in Louises Gruppe waren begeistert von ihr. Louise guckte sich viel von ihnen ab. Unsere anfänglichen Befürchtungen, sie würde unter »nur Behinderten« vielleicht nicht richtig gefördert werden, verwandelten sich in große Anerkennung für die Einrichtung. Praktisch war, dass die Krankengymnastin Louise einmal pro Woche im Kindergarten behandelte und ich dadurch wieder einen Termin in meinem eigenen Kalender streichen konnte. Weitere freie Zeit hatte ich zur Verfügung, weil durch die Kindergartenförderung für Louise keine Frühförderung mehr zu Hause nötig war. Das entspannte unseren Alltag.
Loreen entwickelte sich in dieser Zeit ebenfalls prächtig. Sie erhielt einmal pro Woche Krankengymnastik und einmal Frühförderung. Sie blühte richtig auf und genoss die Stunden allein mit ihrer Mama. Im Alter von vierzehn Monaten begann Loreen zu krabbeln und sich an Gegenständen hochzuziehen. Im Alter von eineinhalb Jahren konnte sie am Tisch entlanggehen. In ihrer gesamten Art wurde sie etwas entspannter und war auch nachts nicht mehr so unruhig. Nur mit dem Essen klappte es leider überhaupt nicht. Loreen vertrug nur Gläschen, Säfte und Milch für Babys ab dem vierten Lebensmonat. Von allem anderen würgte und erbrach sie. Wir hofften, dass Loreen von einem Magen-Darm-Defekt verschont blieb. Kinder mit Williams-Beuren-Syndrom haben oft starke Ernährungsprobleme. Ich hatte gelesen, dass sie spät die Aufnahme von stückiger Kost akzeptieren. Deshalb machten wir uns darüber erst einmal keine Gedanken.
Drei Monate war Louise im Kindergarten, als sie plötzlich unter Durchfällen litt, die schließlich wochenlang anhielten. Louise wurde immer blasser und schwächer. Die Ärzte und wir schoben die Durchfälle auf die Aufbaukost, die sie nach ihrer Darmoperation wohl noch nicht vertrug. Wir warteten ab. Dann bekam Louise einige Tage lang zum Abend hin hohes Fieber, oft sogar bis vierzig Grad, und wir stellten fest, dass sie gelb am Körper wurde. Der Kinderarzt untersuchte, ob eine Leberentzündung vorlag, und machte ein großes Blutbild. Es wurden tatsächlich erhöhte Leberwerte festgestellt, aber keine ansteckende oder gefährliche Leberentzündung. Ich fragte unseren Kinderarzt, ob Louise an Leukämie erkrankt sein könnte. Ich hatte eine Vorahnung. Der Arzt jedoch verneinte, denn dafür wären die Blutwerte zu gut. Nach noch einer weiteren Woche bekam Louise dann kleine rote Pünktchen am Körper, die aussahen, als hätte jemand sie überall mit einer kleinen Nadel gestochen. Sie wurde ins Krankenhaus eingeliefert, und eine zweite Blutuntersuchung ergab, dass sich ihre Blutwerte noch
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