Glück, ich sehe dich anders
bloß?
Ich kochte innerlich vor Wut und bekam einen Hass auf gesunde Kinder. Ich konnte es gut ertragen, wenn die behinderten und nicht behinderten Kinder zusammen spielten, aber ich konnte es nicht ertragen, wenn eine Mutter meinte, ihr Kind würde dieses und jenes auch nicht können und sie bekomme kein Geld dafür vom Staat. Sie vergaß, dass ihre Kinder im Laufe der Zeit bei weiterer Gesundheit alles erlernen konnten, was andere gesunde Kinder auch beherrschten. Bei uns war das anders.
Aus lauter Frust – nicht wegen der Behinderungen meiner Kinder, sondern wegen beleidigender Bemerkungen und Ungerechtigkeiten uns gegenüber, die mich manchmal an den Rand des Wahnsinns trieben – begann ich, viel zu viel zu essen. Wie den Kummer stopfte ich auch das Essen in mich hinein. Innerhalb von zwei Jahren hatte ich mir fast dreißig Kilogramm angefuttert. Ich wog vor den Fressattacken sechzig Kilogramm, hinterher fast neunzig. Wenn Loreen nachts nicht aufhören wollte zu schreien, setzte ich sie in den Babywipper und mich aufs Sofa, schubste sie mit dem Fuß an und futterte dabei eine Dose Erdnüsse oder zwei Tafeln Schokolade. Manchmal kochte ich mitten in der Nacht Spaghetti. Der ganze Ärger, der sich in mir angestaut hatte, drückte sich immer mehr in meinem Äußeren aus. Ich trug nur noch ganz weite Pullis, Hemden und Hosen mit Gummizug – alles in den Farben Grau oder Schwarz. Ich war so unglücklich und unzufrieden. Kummer mit Essen bekämpfen zu wollen hieß, nur noch größeren Kummer einstecken zu müssen. Nach den Fressattacken war ich erst recht verärgert, weil ich mich nicht zusammengerissen hatte. Es war ein Teufelskreis. Ich wollte abnehmen, aber ich schaffte es einfach nicht. Ich nahm es mir immer wieder vor, wenn ich mal wieder eine übergroße Portion in mich hineingestopft hatte, aber nach ein paar Stunden hatte ich wieder Platz in meinem Magen, und die Futterei ging weiter.
Das gemütliche Abendessen, nachdem wir die Kinder ins Bett gebracht hatten, tat mir aber auch gut. Mit Rolf gemeinsam in Ruhe zu essen und ein Glas Wein dazu zu trinken … Es war eine so wohltuende Abwechslung gegenüber dem stressigen Alltag mit den vielen Problemen. Außerdem machte es mir großen Spaß, etwas Leckeres auf den Tisch zu zaubern. Ich hatte in der Küche meine Ruhe, hörte Musik, schnitt die Zwiebeln ganz fein, die Gurkenscheiben ganz dünn. Ich ließ mir viel Zeit und konnte richtig entspannen dabei.
Ich merkte später, dass es eine reine Kopfsache war, mich so mit dem Abnehmen unter Druck zu setzen. Und je mehr ich mich davon löste, umso besser klappte das Abspecken. Es waren zwar keine großartigen Erfolge, aber ein oder zwei Kilogramm pro Monat waren es schon. In sehr stressigen Situationen hatte ich diese schnell wieder auf der Waage, aber ich kam nach und nach besser mit all meinen persönlichen Problemen klar und wurde wieder zufriedener. Ich kaufte mir hübsche farbenfrohe Sachen zum Anziehen, die gerade modern waren, ein paar kurze Pullover und Hemden in Rosa, Grün, Blau, Rot oder Weiß, kariert oder gestreift, ein paar Hosen in ebenso bunten Farben mit breitem Umschlag, schicke Schuhe mit höherem Absatz. Ich ging zum Friseur und ließ mir die Haare mahagonifarben tönen und mir einen modischen Haarschnitt verpassen. Ich wollte nicht mehr die kleine problemgefrustete Dicke sein. Ich wollte meinen Kindern und meinem Mann endlich zeigen, dass ich auch eine strahlende Mutter sein konnte.
ZWEI GANZ BESONDERE MENSCHEN
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L ouises zweiten Geburtstag feierten wir mit ihren Freunden vom Miniclub. Die Frauen aus meinem damaligen Geburtsvorbereitungskurs hatten ihre Kinder ungefähr zur gleichen Zeit entbunden, als auch Louise geboren worden war, und wir hatten uns alle gemeinsam zu einer Spielgruppe für Kinder – Kleinstalter bis drei Jahre – angemeldet. Das war der Miniclub. Wir feierten gemeinsam die Geburtstage der Kleinen, und jetzt waren wir an der Reihe. Ich lud die Kinder und ihre Mütter in unser Haus ein. Es gab für die Mamis Kuchen und Kaffee und für die Kleinen Kekse, Schokoküsse, Eis, Saft und Kakao. Wir hörten Musik, spielten etwas und sangen zusammen Lieder. Beim Dosenwerfen gab es kleine Preise für die Kinder wie beispielsweise Kuchenbackförmchen oder Schaufeln für den Sandkasten. Abends kamen Louises Omas und Opas, die ihr ein Dreirad schenkten. Von Tante Sammy bekam Louise eine Hupe für ihr Dreirad. Hupend sauste Louise durch unseren sieben
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