Glück, ich sehe dich anders
in die Steckdose. Nach fünf Minuten hatte Louise aber keine Lust mehr. Jetzt wollte sie ins Elternzimmer. Also, Stecker wieder raus, Ständer Richtung Elternzimmer schieben. Marsch, marsch! Dort angekommen, verweilte Louise nur kurz, sie wollte lieber zur Küche. Von der Küche drängte sie zur Waschküche, danach zurück in ihr Krankenzimmer. Im Bett war es doch am gemütlichsten …
Louise hatte bei jedem Krankenhausaufenthalt sämtliche Fotoalben von zu Hause mit. Sie sah sie sich immer wieder gern an. Bilder von ihrer Geburt, Bilder von ihrer Taufe, Bilder von ihrer Schwester Loreen, Bilder von unserem Haus und Bilder von ihrem Kindergarten.
Die zwei Chemos, die Louise noch über sich ergehen lassen musste, bevor die Planungen für die Knochenmarktransplantation losgingen, fielen in die Zeit der Fußballeuropameisterschaft. Louises Infusionsständer wurde von mir zu den Spielen unserer Lieblingsmannschaft Niederlande mit orangefarbenen Luftballons und Bändern geschmückt. Von meinen niederländischen Freunden Thea und Jos, den Holzschuhschnitzern, hatte ich auf der Kieler Woche, wo sie jedes Jahr ihren Holland-Stand haben, reichlich Zubehör für unsere Fußballabende bekommen. Niederländische Fähnchen, Holzschuhanhänger, orangefarbene Haarbänder und vieles mehr. Mit unserem Oranje-Wahn steckten Louise und ich sämtliche Mütter der Kinderkrebsstation an. Abends schauten wir im Elternzimmer ein Europameisterschaftsspiel mit »unserer« Mannschaft. Laut feuerten wir die Spieler an, und bei den Toren für unsere Mannschaft gingen Freudenschreie durch das Zimmer. Ausgelassenes Lachen auf der Kinderkrebsstation.
Auch als wir Tage später nach der Chemo zu Hause waren, konnten Louise und ich die niederländische Mannschaft wieder bei einem Spiel im Fernsehen anfeuern. Niederlande - Deutschland stand auf dem Plan. Die Männer aus der Nachbarschaft kamen zu uns, um sich das Spiel anzusehen. Louise, meine Freundin Regina und ich vertraten als weibliche Fans die niederländische Nationalelf. Es gab holländischen Gouda und deutschen Butterkäse, bestückt mit den jeweiligen Fähnchen des Landes. Dazu Eierlikör und Bier.
Als Louise den charmanten Torwart Edwin van der Sar auf dem Bildschirm erblickte, sagte sie spontan: »So groß wie Papa!« Louise war in ihrem Element. Sie rief laut: »Holland winnt!« Und dann beim Tor riss sie ihre Arme hoch. »Toooooooooooor!!!«, jubelte sie. »Oh Mann, oh Mann!«, rief Louise, als die Deutschen ein Tor schössen und Mama verzweifelt dreinblickte. Die Männer jubelten. Aber sie hatten sich zu früh gefreut. Das Spiel ging unentschieden aus. Louise war irgendwann müde und wollte ins Bett.
Als sie morgens aufwachte, rannte sie die Treppe runter und warf einen Blick ins Wohnzimmer. »Wo ist die Fußballparty?«, fragte sie.
ERSTER JULI
E lf Tage vor Louises sechstem Geburtstag folgten wir dem Bestattungswagen vom Krankenhaus zur Kapelle. Die Fahrt war so, wie ich sie mir in meinen Vorstellungen ausgemalt hatte.
Eine Seifenblase war zerplatzt. Louise ist nicht mehr da.
Einen Tag zuvor verbrachten wir wunderschöne Stunden zusammen. Nichts deutete auf irgendetwas Auffälliges hin. Wir waren bei meinen Eltern. Später spielten wir bei uns im Garten. Louise alberte herum und lachte viel. Sie spielte bis abends mit Loreen und ihrer Freundin Lioba. Abends saßen wir vor dem Fernseher und sahen wieder einmal ein spannendes Fußballspiel mit unserer Lieblingsmannschaft Niederlande. Louise streichelte meine Wangen, küsste mich und sagte ständig: »Habe lieb Mama.« Sie fieberte mit, drückte fest die Daumen und biss die Zähne aufeinander. Irgendwann gingen wir zu Bett. Rolf schlief bei Louise, da sie die letzten Nächte etwas unruhig gewesen war. Sie hustete häufiger, aber es war nicht besonders Besorgnis erregend. Sie hatte oft Husten. Rolf stellte ihr eine Spuckschüssel ans Bett. Ich hörte Louise sagen: »Ich muss gar nicht spucken!« Morgens um halb vier schreckte sie aus dem Schlaf hoch, schrie zweimal auf und rang furchtbar nach Luft. Rolf rief mich. Ich wollte ihr ein Pseudokrupp-Zäpfchen geben, aber Louise wehrte es ab. Sie rief: »Nein!«
Es war kein Krupp. Sie drückte mich für einen Moment ganz fest. Dann wurden ihre Arme schlapp, sie hing leblos an mir, kippte zur Seite. Ich versuchte, sie zu beatmen, ihr Luft in ihren Mund zu geben. Sie öffnete die Augen noch einmal und sah mich an. Ich rief: »Louise!« Es war, als wollte sie mich noch ein letztes Mal
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