Glück muß man haben
Herrn Thürnagel. Ich stehe als Verteidiger gegen den Staatsanwalt mit leeren Händen da. Ich habe keine Entlastungszeugen. Die einzige, die dafür in Frage käme, sind Sie, Fräulein Berger, aber Herr Thürnagel will nicht, daß auf Sie zurückgegriffen wird. Er lehnt es ab, daß Sie, wie er sagt, in die Sache hineingezogen werden. Als ich ihm erklärte, daß er dann gleich ins Gefängnis gehen könne, erwiderte er nur: ›Meinetwegen.‹ Nun frage ich Sie, Fräulein Berger, ist das auch Ihre Auffassung und –«
»Nein!« rief Marianne.
»Sehen Sie, das erhoffte ich mir«, sagte Dr. Bernin zufrieden. »Deshalb mein Anruf. Ich baute auf Ihr Gerechtigkeitsempfinden, ganz egal, was zwischen Ihnen und meinem Mandanten vorgefallen sein mag. Sie sind also damit einverstanden, daß ich Sie als Entlastungszeugin aufbiete?«
»Ja.«
»Notfalls auch gegen den Willen des Herrn Thürnagel?«
»So stur kann er doch nicht sein!« brach in Marianne nach langer, langer Zeit wieder einmal ihr Temperament durch.
»Doch, das kann der«, meinte Dr. Bernin. »Ich neigte schon mehrmals dazu, dieses Mandat niederzulegen. Ich bin aber der Anwalt seiner Firma, verstehen Sie, deren Besitzer mich mehr oder minder dazu gezwungen hat, das Mandat zu übernehmen.«
»Und wenn er nun wirklich seinen Widerstand gegen meinen Auftritt als Zeugin nicht aufgibt? Weiß er von Ihrem Anruf bei mir?«
»Dann liegt's bei Ihnen, ob Sie sich darüber hinwegsetzen wollen. Was für ihn auf dem Spiele steht, habe ich Ihnen gesagt. Von meinem Anruf weiß er nichts.«
Marianne zögerte nur ganz kurz, dann sagte sie: »Sie können über mich verfügen, Herr Rechtsanwalt.«
»Danke, Fräulein Berger. Wann wäre es Ihnen möglich, bei mir vorbeizukommen, damit wir noch über das Nötige sprechen können? Möglichst bald, bitte. Die Verhandlung steht ja praktisch vor der Tür.«
»Ja«, sagte Marianne. »Dann am besten heute noch, nicht?«
»Prima! Wie wär's gegen fünfzehn Uhr? Ginge das? … Ja? … Danke. Die Adresse meiner Kanzlei ist folgende …«
Nachdem Marianne aufgelegt hatte, erwartete ihr Vater von ihr eine Erklärung. Er hatte es während des Telefonats nicht für nötig gehalten, sich diskret zurückzuziehen. Marianne sagte aber nicht mehr als: »Ich muß heute nachmittag weg.«
Das genügte aber Theo nicht.
»Wohin?« fragte er.
Marianne zeigte auf den Telefonapparat.
»Zu dem da.«
»Ein Rechtsanwalt?« Das hatte Theo dem Gesprächsbeitrag Mariannes entnehmen können, und daß ihm das als Ausgangspunkt für weitere Vermutungen diente, war naheliegend.
»Ja«, nickte Marianne.
»Was will er von dir?«
»Er braucht mich als Zeugin?«
»Aha.« Dieses ›Aha‹ sprach Bände. Theo fuhr fort: »Auf die Idee, auch mit mir zu sprechen, kam er wohl nicht?«
»Wieso auch mit dir?« entgegnete Marianne kühl.
»Weil ich dein Vater bin.«
»Und was ist mit Mutter? Hätte er dann auch mit der noch sprechen müssen?«
Theo biß sich auf die Zähne. Eine solche Antwort, dachte er, hätte die mir früher geben sollen. Ich weiß nicht, was dann passiert wäre. Aber heute …
»Du gehst also hin?« sagte er.
»Sicher.«
»Auch nach reiflicher Überlegung?«
»Ja.«
»Daß das ein Fehler ist, ist dir wohl klar?«
»Mag sein«, erklärte sie und fügte als Trost, der keiner war, hinzu: »Aber wenn es sich als Fehler herausstellen sollte, verspreche ich dir, das Ganze mit mir selbst auszumachen. Euch werde ich damit nicht belästigen!«
Für die ›Sonnenblume‹ rückte wieder einmal ein sogenannter Ruhetag heran. Theodor Berger freute sich schon auf das gewohnte Zusammentreffen mit Pit Schmitz, aber dann kam im letzten Moment etwas dazwischen. Die Bergers erhielten überraschenden Besuch von einem steinalten Verwandten aus der DDR, den Theo nicht gut seiner Frau allein überlassen konnte. Innerlich fluchend, wollte Theo seinem Freund am Telefon Bescheid sagen, aber dann stellte sich heraus, daß die Verbindung irgendwie gestört war. Nach mehreren Versuchen, die alle scheiterten, rief Theo schließlich den Kellner Heinrich an, von dem er wußte, daß er ganz in der Nähe des Gasthauses ›Zum Brunnen‹ wohnte, erreichte ihn auch und bat ihn, die paar Schritte zu Schmitz hinüberzugehen und ihm zu sagen, was passiert sei. Schmitz und Heinrich waren auch zwei alte Bekannte. Sie duzten sich sogar, und gerade das war der Grund, warum Heinrich es vorzog, seinen Beruf in einem anderen Gasthaus auszuüben. Er hatte es lieber, daß zwischen
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