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Glücklich die Glücklichen

Glücklich die Glücklichen

Titel: Glücklich die Glücklichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Reza
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wir doch Ihren Aufzug, das ist eine Art und Weise, uns zu verbinden, findest du nicht ?, sage ich. Meine Großtante sagt, ja, finde ich. – In dem Fahrstuhl, der ein Bettenaufzug, also sehr tief ist, stellt er sich neben mich, als wäre es ganz eng. Ich schwöre dir, Marie-​Paule, sag ich zu meiner Großtante, ich will nicht sagen, er hätte sich an mich gedrückt, aber in Anbetracht der Größe des Fahrstuhls stand er schon sehr dicht an mir dran. Leider geht es schnell zwischen dem Erdgeschoss und minus zwo. Unten gehen wir ein paar Meter gemeinsam, dann kehrt er in den Warteraum zurück, ich ins Sekretariat. Fast nichts ist geschehen, zumindest nichts Konkretes, aber als wir uns an der Korridorkreuzung verabschiedeten, kam es mir fast so vor, als würden wir nach einer heimlichen Reise auf einem Bahnsteig auseinandergehen. Glaubst du, ich hab mich verliebt, Marie-Paule ? – O ja, so wirkst du, sagt meine Großtante. – Weißt du, dass ich noch nie verliebt war ? Oder höchstens für zwei Stunden. – Zwei Stunden, das ist nicht viel, sagt meine Großtante. – Und was soll ich jetzt machen ? Wenn ich nur darauf warte, dass wir uns in der Klinik über den Weg laufen, kommen die Dinge nicht in Gang. In der Klinik bin ich vor lauter Patienten, Anrufen und den zu pflegenden Behandlungsakten überhaupt nicht verfügbar. – Nein, sagt meine Großtante. – Glaubst du, dass ich ihm gefalle ? Ich gefalle ihm, das ist doch klar ? – Oh, ganz sicher gefällst du ihm, sagt meine Großtante, er ist Spanier ? Hüte dich vor Spaniern. – Er ist gar kein Spanier ! – Ach so, na, umso besser. Meine Großtante steht auf und tritt ans Fenster. Die beiden Bäume schwanken im Wind. Sie wiegen sich gemeinsam, die Äste und Blätter flattern in derselben Richtung. Sie sagt, schau mal, meine Pappeln. Schau dir an, wieviel Spaß sie haben. Hast du gesehen, wo sie mich hingesteckt haben? Zum Glück hab ich meine beiden Großen da. Sie machen mir mit ihren Samen einen Teppich aufs Fensterbrett, weißt du, mit diesen kleinen Raupen, das lockt die Vögel an. Willst du nicht ein Glas Orangensaft ? – Nein danke, Marie-​Paule. Ich muss los, sage ich. Meine Großtante steht auf und stöbert in ihrem Wollkorb herum. Sie sagt, kannst du mir ein Knäuel Diana-Noel mitbringen, grün, wie das hier ? – Ja, natürlich, sage ich. Ich drücke sie. Sie ist winzig, meine Marie-​Paule. Es zerreißt mir das Herz, sie allein hierzulassen. Im Treppenhaus höre ich wieder Edith Piaf. Es kommt mir vor, als würde jemand mitsingen. Ich steige wieder ein paar Stufen hoch und erkenne zu der mitreißenden Musik die dünne Stimme meiner Großtante, »Das ist doch nicht zu fassen / Du machst mir nie zuviel / Du bist der Mann, du bist der Mann / Du bist der Mann, wie ich ihn will«.

Rémi Grobe
    Wer soll ich sein ?, hatte ich sie gefragt. – Ein Mitarbeiter. – Ein Mitarbeiter ? Ich bin doch kein Jurist. – Ein Journalist, sagte Odile. – Wie dein Mann ? – Warum nicht ? – Und welche Zeitung ? – Was Seriöses. Les Échos . – Das liest da hinten kein Mensch. Als wir in Wandermines ankamen, wollte Odile, dass ich den Wagen in einer Gasse hinter dem Kirchplatz parke. Ich sagte, es regnet. – Ich will nicht mit einem BMW ankommen. – Im Gegenteil, du kommst mit derselben Karre angefahren wie der Anwalt vom Chef, das ist doch perfekt. Sie zögerte. Sie hatte sich hübsch gemacht, höhere Absätze als sonst, Dämchen-Frisur. – Du bist schick, hatte ich gesagt, du bist die Pariserin, glaubst du, die wollen sich von einer Bäuerin in Holzschuhen vertreten lassen ? – Einverstanden, hatte sie gesagt. Ich glaube, das tat sie vor allem, weil es regnete. Ich parkte auf dem Platz. Mit aufgespanntem Schirm ging ich um den Wagen herum. Sie stieg aus. Klein, in ihren Mantel und den um den Hals geknoteten Schal gemummelt, mit steifer Handtasche und einer Aktentasche. In diesem Augenblick stieg in mir ein Gefühl auf, ein echtes, wohlgemerkt. Als ich in Wandermines im Regen aus dem Wagen stieg. Es ist viel zu selten vom Einfluss der Örtlichkeiten auf die Affekte die Rede. Manchmal steigt ohne Vorwarnung etwas Wehmütiges an die Oberfläche. Die Wesen verändern ihre Gestalt, wie im Märchen. Vor der halb im Nebel verschwundenen Kirche, den roten Backsteinbauten und der Pommesbude sah ich die große Anwältin der Asbestopfer, ein kleines unsicheres Mädchen, das lachte – ich liebe dieses Lachen -, als es die Wartenden

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