Glücklich gestrandet
Nähe. Aber sie hatte Pech. Die freundliche Seele, die die Sitzordnung festgelegt hatte, hatte ihr einen Platz auf der anderen Seite des Tisches zugewiesen. Dort saß bereits ein junger Mann, der in sein Bier starrte, als bereitete er sich auf einen langweiligen Abend vor.
Dora las ihren Namen aus einiger Entfernung und zögerte, bevor sie zu ihrem Platz neben dem jungen Mann ging. Er hatte gewelltes Haar und schräg stehende Augen. Als sie näher kam, blickte er auf, sah sie und lächelte. In seinen Augen stand ein schelmisches Zwinkern. Wer immer den Sitzplan erstellt hatte, musste geglaubt haben, Dora einen Gefallen zu tun. Aber sie war ganz und gar nicht dankbar. Ihr war nicht im Entferntesten nach Gesellschaft zumute, und obwohl sie es fertiggebracht hätte, mit einem freundlichen Ex-Marineoffizier oder seiner Frau Smalltalk zu machen, wollte sie nichts mit diesem – zugegebenermaßen attraktiven – jungen Mann zu tun haben, der vielleicht gewohnheitsmäßig mit ihr flirten würde.
Sie schaute zu Jo hinüber und überlegte, ob sie vielleicht eine Ausrede finden konnte, um sich zu ihr zu gesellen. Aber Jo saß neben einem nett aussehenden Paar, das etwa in ihrem eigenen Alter war. Sie schien einen geselligen Abend zu erwarten.
»Hi, ich bin Tom«, sagte der junge Mann und schüttelte ihr die Hand, obwohl Dora sie ihm nicht hingehalten hatte. Dabei sah er ihr in die Augen. Seine waren dunkelbraun.
»Dora«, erwiderte sie und setzte sich neben ihn.
»Ungewöhnlich. Ich bin noch keiner Dora begegnet.«
»In Dickens’ David Copperfield kommt eine Dora vor, obwohl sie eine ziemliche Niete ist.«
»Sind Sie eine ziemliche Niete?«, gab er zurück.
Dora lachte überrascht. »Ja, da Sie schon danach fragen.«
»Nun, die Nieten werden gemeinhin auch unterschätzt. Ohne Nieten hätte keines der alten Stahlschiffe sich über Wasser gehalten. Und für eine Niete sehen Sie wirklich gut aus. Sie haben bestimmt immer Oberwasser, oder?«
»Solange ich nicht herunterfalle, ja.«
»So, dann wohnen Sie also auf einem Kanalboot? Oder sind Sie nur eine Besucherin?«
»Ähm – ich wohne auf einem Kanalboot.«
»Sie scheinen sich da nicht ganz sicher zu sein.«
»Ich bin erst gestern eingezogen, aber ich werde eine Weile hierbleiben.«
»Auf welchem Boot?«
»Auf der Drei Schwestern.«
»Oh. Auf dem Klipper.«
»Was?«
»Es ist ein Klipper oder ein Klipperaak. Das ist eine Art Aak, ein Plattbodenschiff. Sie sind noch nicht lange hier, nicht wahr?«
»Nein. Das habe ich schon gesagt.« Dora spielte mit ihrem Besteck herum; ihr Mangel an Wissen war ihr peinlich.
»Und interessieren Sie sich für Aake und andere Plattbodenschiffe?«
Sie sah ihn an. »Keine Ahnung! Ich hatte bisher kaum Gelegenheit herauszufinden, was überhaupt das Besondere an diesen Booten oder Schiffen ist!«
»Sie sind jedenfalls für ein Boot verdammt groß«, erklärte Tom feierlich.
Jetzt lachte Dora. »So viel habe ich auch schon mitbekommen.«
»Also, wenn Sie keine Bootsfanatikerin sind, warum sind Sie dann hier?«
»Ich wohne bei der Mutter meiner besten Freundin. Ich war auf der Suche nach einer Wohnung, die näher an London ist, und sie hat mir ein Zimmer angeboten. Es ist ziemlich billig.« Es würde ziemlich billig sein, das wusste sie, und sie war recht zufrieden mit dieser Version ihrer Geschichte. Es klang ganz und gar nicht so, als wäre sie auf der Flucht.
»Klar. Wem gehört die Drei Schwestern?«
»Hm, Jo – das ist die Frau, bei der ich wohne – hat das Boot gemietet, daher weiß ich es nicht. Jo sitzt dort drüben.«
»Sie sieht nett aus.«
»Das ist sie auch.« Dora hielt inne. »Also, warum sind Sie hier?«
»Ich arbeite auf einer Bootswerft, doch ich versuche immer, Jobs an Bord zu finden. Ich verbringe viel Zeit auf Booten, aber nicht genug Zeit auf See.«
»Verstehe.«
»Darf ich Ihnen einen Drink holen? Ich denke, zum Dinner wird es Wein geben, doch da bisher noch nichts von dem Essen zu sehen ist, werden Sie vielleicht vorher etwas brauchen.«
Dora überlegte nicht lange. Sie hatte Durst gehabt, als Jo ihr einen Drink spendiert und sie sich für einen Henry entschieden hatte. Jetzt schien ihr etwas Stärkeres als Orangensaft mit Soda angebracht zu sein. »Ein Glas Rotwein wäre wunderbar.«
Tom stand bereits. »Hausmarke?«
»Gern.«
Während er fort war, beugte Jo sich über den Tisch. »Ist alles in Ordnung bei dir? Ich meine, von hier aus wirkt er recht süß, aber wenn du nicht glücklich bist,
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