Glücklich gestrandet
unter. »Als Philip mich verlassen hat, habe ich mir eine Menge sehr bunter Kleider gekauft, damit die Leute nicht einfach an mir vorbeischauten. Kein Purpur natürlich.«
»Warum kein Purpur?« Dora stand vor einem Rätsel.
»Wegen des Gedichts über alte Frauen, die Purpur tragen.«
»Ich verstehe«, sagte Dora, die gar nichts verstand. Doch sie beschloss, dass es leichter sei, sich Jo anzupassen – sie war so anders als ihre Mutter.
»Ich will keine neue Beziehung, Gott behüte, aber ich will nicht, dass die Leute es nicht bemerken, wenn ich einen Raum betrete. Das wäre einfach zu erniedrigend.«
»Das passiert nicht. Da bin ich mir sicher. Ich meine, die Leute werden dich bestimmt bemerken.«
Jo lachte. »Wenn ich dieses Top trage, bleibt ihnen auch nichts anderes übrig.«
Obwohl sie das Dora gegenüber nicht zugeben wollte, war Jos Angst davor, unsichtbar zu werden, zum Teil Furcht vor der Menopause. Dieses Damoklesschwert hatte sich bereits auf viele ihrer Freundinnen herabgesenkt, von denen einige jünger waren als sie. Es konnte jetzt nicht mehr lange dauern, das wusste sie, und sie freute sich wirklich nicht darauf. Sie wollte nicht asexuell werden und befürchtete, dass dieses Schicksal unvermeidbar war – vor allem jetzt, da sie Single war.
Philip und sie hatten während der letzten Jahre sehr viel seltener miteinander geschlafen. Anfangs hatte sie es vermisst, aber später hatte sie es gemütlich gefunden, gemeinsam im Bett zu sitzen mit ihren Büchern, und wenn es auch kein Ersatz war für körperliche Berührung, war es durchaus angenehm gewesen.
Jetzt war ihr klar, woran es gelegen hatte: Philip hatte sie nicht länger begehrt und einen anderen, jüngeren Körper zur Verfügung gehabt. Er hatte also nicht aufgrund des Fortschreitens der Jahre aufgehört, sie an sich zu ziehen und ihr zu sagen, dass sie ein hübsches Mädchen sei. Die Perle war Ende zwanzig. Sie wäre nicht glücklich damit gewesen, neben ihm im Bett ein Buch zu lesen. Wenn hinter Philips Widerstreben, mit ihr, Jo, zu schlafen, mehr gesteckt hatte als Jos Alter und die Konkurrenz der Jüngeren, stand er jetzt vor einem echten Problem. Oder er würde diese blaue Pille nehmen müssen.
Jetzt bereute Jo, ihr scharlachrotes Top angezogen zu haben. Sollte die Menopause auf die Idee kommen, während des Dinners mit einer sprichwörtlichen Hitzewelle zuzuschlagen, würde sie aussehen wie eine Chilipeperoni. Und was immer Dora über ihre Mutter gesagt hatte, Jo war nicht davon überzeugt, dass das Top nicht zu viel von ihrem Dekolleté preisgab.
Dora fragte sich, ob man ihr Fragen stellen würde, die sie höchstwahrscheinlich wieder zum Weinen bringen würden. Aber vermutlich hatte Jo recht; sie brauchte nur zu sagen, dass sie einen Tapetenwechsel nötig hatte und sich vielleicht in London einen Job suchen würde. Sie würde versuchen, den Eindruck zu erwecken, ein ehrgeiziges, lediges Mädchen auf der Suche nach Abenteuern zu sein. Wenn man bedachte, wie wenig Abenteuer sie bisher in ihrem Leben erlebt hatte, sollte sie sich vielleicht ernsthaft auf die Suche nach einem Abenteuer machen. Obwohl sie sich vor ihrer Ankunft bei Jo ziemlich mutig vorgekommen war, würde die Tatsache, dass sie bei der Mutter ihrer besten Freundin Unterschlupf gesucht hatte, wahrscheinlich nicht als Abenteuer durchgehen.
Ihre Ankunft in dem Pub setzte ihren jeweiligen Gedanken ein Ende, und sie gingen zu dem Raum im oberen Stock, der für das Dinner reserviert worden war. Sie waren früher am Tag dort gewesen und hatten die Tische arrangiert und geschmückt. Um den Sitzplan hatte sich jemand anderes gekümmert; daher wussten sie nicht, wo sich ihre Plätze befanden.
Sie gehörten zu den Ersten, die eintrafen. Viele Leute kamen in großen Gruppen, und Dora war ein wenig verlegen; doch vermutlich ging es Jo genauso. Aber irgendjemand erkannte Jo ziemlich bald und zog sie beide in seine Gruppe. Jo stellte Dora vor, und niemand fragte: »Wer ist denn dieses entlaufene Mädchen?« oder etwas Ähnliches. Logischerweise war dies ja auch wirklich sehr unwahrscheinlich, doch während der letzten Woche daheim war sie ständig Menschen begegnet, die sich bemüssigt gefühlt hatten zu bemerken, dass ihr jede »Vorstellung von anständigem Benehmen« abgehe. Daher erwartete Dora jetzt solche Kommentare.
Dann ging auch schon die allgemeine Suche nach dem eigenen Namensschildchen los, und Dora hoffte inbrünstig, dass sie neben Jo saß oder zumindest ganz in ihrer
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