Glücklich gestrandet
mit Miranda ein wenig optimistischer war.
»Ich weiß«, antwortete Dora, »aber ich habe das Gefühl, dass ich zuerst nach etwas anderem suchen sollte. Vielleicht will ich den Job nicht mehr haben, wenn ich mehr darüber weiß. Und der Grund dafür, dass ich bei dir eingezogen bin, ist der, dass ich einen Job in London wollte. Zumindest erzähle ich das allen.«
»Wie wär’s, wenn ich heute mit dir in die Stadt fahren würde? Ich muss ohnehin einige Materialien kaufen. Wenn wir beide unser Programm abgearbeitet haben, können wir irgendwo zu Mittag essen. Mir würde es auch guttun, mal einen Tag fortzukommen. Einen Nachteil hat es, wenn man sich gut amüsiert: Manchmal ist man dann anschließend ziemlich deprimiert.« Jo spürte, dass der Tag auf dem Rennplatz diese Wirkung auf Dora gehabt hatte.
»Ich könnte durchaus allein fahren …«
»Selbstverständlich! Aber ich möchte dich gern begleiten.« Jo lachte. »Und vielleicht möchte ich ja auch nicht die ganze Reise bis nach London ohne einen Aufpasser unternehmen.«
Dora kicherte. »In Ordnung.«
»Also mach einige Termine aus. Dann haben wir ein Gerüst, an dem wir uns orientieren können.«
Nachdem Dora ihre Anrufe getätigt hatte, verschwanden sie in ihre jeweiligen Kabinen, um sich anzuziehen. Jo war schmerzhaft bewusst, dass sie keine Kleider hatte, die annähernd elegant genug für London waren. Dann fiel ihr wieder ein, dass Dora diejenige war, die elegant wirken musste. Sie selbst durfte »originell« aussehen. Jo legte noch eine Perlenkette um, steckte sich Ohrringe in der Form von Papageien in die Ohrläppchen und ging dann in den Salon, um auf Dora zu warten.
Dora trug eine Leinenhose und ein figurbetontes schwarzes T-Shirt. »Sehe ich gut aus? Es ist eine Ewigkeit her, seit ich das letzte Mal bei einem Vorstellungsgespräch war.«
»Was hast du denn damals getragen?«
»Ein dunkelblaues Kostüm. Meine Mutter hat es für mich gekauft.«
»Hast du es mitgebracht?«
»Nein. Abgesehen von dem Outfit, das ich gestern anhatte und das definitiv gewaschen werden muss, ist dies das Eleganteste, was ich besitze.«
»Dann siehst du gut aus. Schließlich geht es nur um einen ersten Eindruck, du hast kein Vorstellungsgespräch bei einer Botschaft. Du siehst hübsch und ordentlich aus … und lässig. Gut.« Jo spürte, dass Dora mit einiger Nervosität der Notwendigkeit entgegensah, wildfremden Menschen ihre Fähigkeiten anpreisen zu müssen. Persönlich hätte sie zusätzlich eine Jacke getragen oder irgendetwas, um geschäftsmäßiger zu wirken. Doch im Gegensatz zu Dora war sie ja auch nicht mehr zwanzig. Dora durfte ruhig jung aussehen.
»Du hast recht. Aber wenn ich nachgedacht hätte, hätte ich mir meine besten Sachen für heute aufgespart und sie nicht bei dem Rennen vergeudet.«
»Trotzdem hast du dich amüsiert.«
»Ja, das habe ich, und die Tatsache, dass ich Toms erste Aufgabe bewältigt habe, hat mir Selbstvertrauen gegeben. Hoffentlich reicht es auch für den ganzen Tag!«
Im Zug saßen sie einander gegenüber. Dora betrachtete die Vorstadtgärten, an denen sie vorbeifuhren. Jeder war anders als der vorhergegangene, einige makellose Meisterwerke, andere ein Ort, an dem man alte Fahrräder und verrostete Grills ablud.
»Ich liebe Zugfahrten«, bemerkte sie, »wenn ich nicht Unmengen von Zeug mit mir herumschleppe und mir nicht sicher bin, wo ich hinfahre.«
»Das geht mir genauso«, stimmte Jo ihr zu.
»Also könnten wir beide als glückliche Pendler enden«, erwiderte Dora.
»Hm. Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich gern pendeln würde. Aber ich liebe Ausflüge.« Jo wühlte in einer verblassten Strohtasche und förderte einen Touristenführer zutage. »Lass uns feststellen, wo wir hingehen wollen. Wie lauten die Adressen der Agenturen?«
Dora reichte ihr das Blatt Papier. Eine Welle von Nervosität stieg in ihr auf und verebbte wieder. Nachdem sie am Vortag ihre erste Herausforderung so spektakulär bewältigt hatte, war sie voller Zuversicht gewesen. Wenn sie alle fünf Aufgaben erledigt hatte, würde die Zuversicht vielleicht ein wenig länger anhalten.
»Alles ziemlich zentral«, meinte Jo. »Hast du bei allen drei Agenturen Termine?«
»Nur bei einer. Bei den anderen beiden soll ich einfach vorbeikommen. Wo willst du denn hin?«
»Miranda hat mir erzählt, dass es in der Nähe des Britischen Museums einen kleinen Laden gibt, der Künstlermaterialien verkauft. Wir werden nur wenige U-Bahn-Haltestellen voneinander
Weitere Kostenlose Bücher