Gluecklich, wer vergisst
Spuren verfolgen.“
„Was willst du damit sagen?“ Walpurga blickte mich irritiert an.
„Ich glaube nicht, dass Franzi deinen Mann umgebracht hat. Das ist nur ein Gefühl, ich kann es nicht beweisen. Gustav hat mir sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass ich mich raushalten soll. Er hat seine Warnung zwar witzig formuliert: Mit den starrköpfigen Salzkammergutlern sei nicht zu spaßen, und wenn ich weiter herumschnüffeln würde, müsse ich damit rechnen, irgendwann einen Schlag auf den Kopf zu kriegen …“
„Hat er das wirklich gesagt? Unser lieber Gustav muss immer übertreiben. Ich wäre natürlich sehr froh, wenn dein Inspektor Franzi entlasten würde, aber ich fürchte, liebe Joe, auch er wird sie nicht freibekommen. Sie hat es getan. In Notwehr, oder es war Totschlag. Aber sie hat Philip umgebracht.“
Ich widersprach nicht, obwohl es mir auf der Zunge lag zu sagen, dass ihr geliebter Sohn den Mord bereits halb gestanden hatte.
Nach der zweiten Tasse Kaffee bot sich Walpurga an, mich auf den Hochlecken zu begleiten. Sie gab vor, Angst zu haben, dass ich mich verirren könnte, wenn es dort oben nebelig sein sollte.
Ich konnte ihr Angebot schlecht ablehnen. Es fiel mir nach wie vor schwer, zu Frauen, die meine Mutter sein könnten, unhöflich zu sein. Insgeheim aber verfluchte ich mein Pech. Hatte ich doch gehofft, in der kühlen, frischen Gebirgsluft wieder einen klaren Kopf zu kriegen. Diese Hoffnung konnte ich jetzt begraben. Walpurga würde auf mich einreden. Und ich würde nach dieser Bergtour noch verwirrter sein, als ich es ohnehin bereits war.
Wir fuhren am Ostufer des Attersees entlang, vorbei an den Wochenendhäusern wohlhabender Österreicher und deutscher Großindustrieller, den hübschen Villen mit verschnörkelten Holzblenden über den Balkonen, die die Sommerfrischler vor dem Regen abschirmten, und machten uns lustig über die modernen Bungalows und die kitschigen Mini-Burgen der Neureichen.
Walpurga kannte die Geschichte von fast jedem Haus. Als wir an einem größeren Landsitz vorbeifuhren, sagte sie: „Diese Villa hat einst Heinz Rühmann gehört, später einem Skifabrikanten …, ach ja, und da rechts ist das Häuschen von dem berühmten Reiter, diesem Olympiasieger, du weißt schon, das Haus mit den vergoldeten Klobrillen, wie die Leute es nennen. Hier links stand früher eine richtige Bruchbude. Und wie schmuck sieht es jetzt aus. Die Erben haben angeblich am Dachboden echte Klimt-Skizzen gefunden. So viel Glück sollte unsereins mal haben“, sagte sie neidisch. Dann erzählte sie mir, dass einige der prächtigsten Villen und Schlösschen in Weißenbach unlängst die Besitzer gewechselt hätten, erzählte mir von russischen Oligarchen, von Ski-Stars und anderen sogenannten Prominenten, die diese ehemaligen Herrschaftssitze gekauft hatten.
Ich betrachtete die Trauerweiden am Ufer, den farbenfrohen Mischwald an den Hängen des Hongars und das gewaltige Massiv des Höllengebirges, das sich gerade aus dem Nebel schälte.
„ ‚Sie brauchen gar nicht mehr hinzusehen – das habe ich alles schon wegkomponiert‘, sagte einst Gustav Mahler zu seinem Freund Bruno Walter über das Höllengebirge, als er in seinem Komponierhäuschen an seiner Dritten Symphonie arbeitete“, fing Walpurga wieder mit ihren Anekdoten an.
Zum Glück wirkte das Gebirge, trotz der Gesteinsbrocken, die von der Erosion ständig zu Tale befördert wurden, recht gut erhalten. Dieses wild zerklüftete Kalkmassiv hatte sein Aussehen in den letzten Jahren nicht verändert. Fauna, Flora und Gestein hatten mich bisher nie interessiert. Doch den Kontrast zwischen dem kräftigen Grün und dem sanften Grau empfand ich als beruhigend.
„Da vorn kommt gleich die schwarze Brücke, auch ‚Todesbrücke‘ genannt, weil hier viele Taucher tödlich verunglückt sind.“ Da sich auf der Brücke gerade ein paar junge Leute in schwarze Neoprenanzüge zwängten, fühlte ich mich gleich weniger entspannt.
In Steinbach fuhren wir auf die Großalmstraße. Wir wollten die kürzeste Route über den Aurachursprung nehmen, obwohl der Aufstieg von dort aus schwieriger war.
Wir stellten den Wagen auf dem großen Parkplatz in der Nähe des kleinen Aurachkarsees ab und gingen zu Fuß die Forststraße entlang, vorbei an einer Schottergrube, bis der Weg zu einer Skipiste abzweigte. Dreimal überquerten wir eine Bergwiese, bevor wir den dichten Wald erreichten.
Beim hölzernen Brunnen am Aurachursprung füllten wir unsere
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