Gluecklich, wer vergisst
stecken. Umgestürzte Bäume und herabgefallene Äste versperren ihnen den Weg.
Kaum haben sie den Waldweg hinter sich, fängt es wieder zu regnen an. Der Regen ist nicht stark, doch die Nässe dringt durch ihre Kleidung. Joes dünne Nylonjacke ist nicht imprägniert.
Der ganze Radausflug scheint ein einziger Horrortrip für Joe zu sein. Mit ärgerlicher Miene strampelt sie auf dem aufgeweichten Weg dahin. Sie wirkt mehr als erleichtert, als Gustav vorschlägt, beim Gasthaus Hochleckenblick Rast zu machen und dort das Ende des Regenschauers abzuwarten.
Franzi, die kein Geld dabei hat, leiht sich von Joe zwanzig Schilling für ein Paar Frankfurter und eine Cola. Unwillig schiebt Joe ihr den Schein rüber. „Den Zwanziger will ich heute Abend wieder haben. Du schuldest mir ohnehin bereits hundert Schilling.“
„Sei nicht so geizig“, sagt Franzi lachend. „Deine Eltern haben genug Marie.“
Von der Gaststube aus können sie weder den Hochlecken noch den Attersee sehen. Joe scheint der Appetit gründlich vergangen zu sein. Sie überlässt Gustav die Gulaschsuppe, die sie bestellt hat, trinkt nur einen Almdudler.
Als sie sich am späten Nachmittag auf den Rückweg machen, schlägt Franzi vor, zum Gerlhamer Moor zu fahren. „Vielleicht finden wir eine Moorleiche“, sagt sie kichernd. „Ganz Litzlberg sucht seit Wochen nach dieser verschwundenen deutschen Urlauberin. Ich glaube nicht, dass sie ertrunken ist, sonst hätten die Taucher sie längst gefunden. Vielleicht war es Mord? Das Moor ist jedenfalls ein ideales Versteck für eine Leiche!“
Gustav, der sich sehr für Verbrechen und mysteriöse Todesfälle interessiert, ist sofort begeistert von dieser Idee. Joe weigert sich mitzukommen. Sie will möglichst rasch zurück ins Schloss. Willi ist deutlich anzumerken, dass auch er keine Lust hat, auf Moorleichensuche zu gehen. Anstatt sich mit Joe zu verbünden, gibt er jedoch klein bei. Joe fährt allein nach Hause.
Ein paar Sonnestrahlen wagen sich durch die Blätter und Nadeln der Bäume. Die Luft riecht intensiv nach frischem Harz. Es ist unerträglich schwül. Das nächste Gewitter ist vorprogrammiert. Der Waldweg ist mit Brombeerbüschen gesäumt. Joe bleibt kurz stehen, versucht, sich die Stelle einzuprägen.
Plötzlich wird die Waldschneise enger und führt steil bergab. Dichtes Gestrüpp lässt sie sehr langsam vorankommen. Sie gerät ins Schleudern. Reagiert panisch. Springt ab. Das Rad fährt ohne sie weiter. Prallt an einen Baum und bleibt schließlich im Schlamm stecken. Joe landet auf dem weichen Waldboden. Ihre Schulter trifft auf etwas Hartes. Erschrocken tastet sie ihren Körper ab. Nach dem Zusammenstoß mit dem Baumstumpf schmerzt zwar ihre rechte Schulter, doch sie kann sich ohne Probleme aufrichten und hinsetzen. Ist aber etwas benommen. Schweiß tropft von ihrer Stirn. Ihre Haare kleben im Nacken. Käfer und Ameisen kriechen über ihre nackten Beine. Gelsen umschwirren ihr Gesicht. Summen in ihren Ohren. Setzen sich auf ihre Nase. Eines dieser grässlichen Tierchen hat es sogar auf ihre Augen abgesehen. Sie schlägt mit der Linken wild um sich und versucht aufzustehen. Knickt aber sofort um. Ihr rechter Knöchel tut höllisch weh. Mit schmerzverzerrtem Gesicht streicht sie mit der Hand mehrmals darüber, bevor sie sich aufrappelt. Fluchend und mit Tränen in den Augen humpelt sie zu ihrem Rad. Zieht es aus dem Schlamm. Besieht sich den Schaden. Lenker und Vorderrad sind total verbogen. Weder sie noch das Rad werden es bis nach Hause schaffen.
Das Zirpen der Grillen schwillt an. Anscheinend ist sie diesen sensiblen Tierchen zu nahe gekommen. Schmeißfliegen brummen und tanzen um einen Laubhaufen, der mit Ästen und Zweigen bedeckt ist. Ein Teppich aus Unkraut, vermoderten Blättern und Geäst. „Unter dem Gehölz liegt bestimmt ein Kadaver“, murmelt Joe und verzieht angeekelt den Mund.
Sie lehnt das Rad an einen Baum und humpelt, so schnell sie kann, den steilen Weg hinunter. Hohe Bäume, dornige Sträucher und dichtes Farnkraut. Ein dunkles, undurchdringbares Gestrüpp vor ihr. Der Boden ist rutschig. Sie hält sich an Ästen fest. Kleine Zweige knacken, als sie danach greift.
Ein sanftes Lüftchen kommt auf. Fährt ihr durch die vom Schweiß feuchten Haare. Die Blätter der Bäume beginnen zu rascheln. Ein hoher Drahtzaun versperrt ihr den Weg. Tränen laufen über ihre Wangen. Weinend hantelt sie sich den Zaun entlang.
Der Wind frischt auf. Drückt überhängende Zweige herab.
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