Gluecklich, wer vergisst
Knallt sie ihr ins Gesicht. Die ersten Blitze zerreißen das kleine Stück Himmel über ihr. Das Donnergrollen kommt näher. Regentropfen trommeln auf das Blätterdach. Die alten Bäume werden nicht ewig Schutz bieten. Bald wird es richtig zu gießen beginnen.
Sie schleppt sich ein paar Meter weiter. Plötzlich vernimmt sie menschliche Stimmen. Ein Schrei. Ein dumpfes Geräusch. Dann wieder Stille. Auf der anderen Seite des Zaunes ringen zwei Männer miteinander wie Schulbuben. Beide sind von oben bis unten mit Schlamm bespritzt.
Der Zaun hat an dieser Stelle ein riesiges Loch. Joe kriecht nicht hindurch. Sie kehrt um. Humpelt zurück zum Pfad und schreit um Hilfe.
Gustav kommt auf seinem Rad den steilen Hang heruntergeschossen. Willi und Franzi folgen ihm langsam und vorsichtig.
„Der Fischer-Hans und der Roither-Bauer schlagen sich gegenseitig fast tot“, schreit Joe. Sofort springt Gustav von seinem Rad. Wirft es gegen den Zaun und folgt Joe.
Als sie bei dem Loch ankommen, sehen sie den Roither-Bauern am Boden liegen und den Fischer-Hans wütend auf ihn eintreten.
Gustav will sich sofort einmischen. Franzi und Willi halten ihn zurück. Er reißt sich los. Kriecht durch das Loch und stürzt sich von hinten auf den Fischer-Hans. Schlingt die Arme um seinen Hals. Würgt ihn. Wie ein Äffchen hängt er auf dem Rücken des älteren Mannes, der mit den Armen wild um sich schlägt, Gustav in die Seiten boxt.
„Hören Sie sofort auf“, schreit Joe, die mehr Angst um Gustav als um den Roither-Bauern hat.
Willi steht neben ihr und schaut zu, wie sich sein Freund mit den beiden Männern herumschlägt. Gustav schreit auf vor Schmerz. Joe stürzt sich auf den Fischer-Hans. Versucht, seine Hände zu erwischen, ihn davon abzuhalten, Gustav weiter in die Rippen zu boxen.
Als er endlich zur Vernunft kommt, ist es fast zu spät. Der Roither-Bauer hat nicht nur ein großes, blutendes Cut über seinem rechten Auge, sondern blutet auch aus dem Mund. Und Gustav krümmt sich vor Schmerzen.
Die alten Männer beschwören die Kinder, den Mund zu halten.
„Ich glaub, ich hab mir eine Rippe gebrochen“, stöhnt Gustav.
Joe hat nur ein paar blaue Flecken abbekommen. Gustav bietet ihr für die Rückfahrt seinen Gepäcksträger an. Walpurgas altes Waffenrad lassen sie liegen.
„Ich werde es morgen holen“, verspricht er.
Das Gewitter hat sich verzogen. Sie kommen fast trocken nach Hause. Auf die Fragen ihrer Mutter antwortet Joe einsilbig. Ihre Verletzungen erklärt sie mit einem Fahrradsturz. Ohne ein Wort mit Franzi zu wechseln, geht sie auf ihr Zimmer.
Nachts kommt Franzi in Joes Bett und kuschelt sich an sie, entschuldigt sich sogar bei ihr. Sie macht Gustav für alles verantwortlich. „Er wollte unbedingt zum Gerlhamer Moor fahren. Ich habe nur einen Scherz gemacht. Aber du weißt ja, wie scharf er auf alles ist, was mit Verbrechen zu tun hat.“
„Lass mich schlafen, ich bin todmüde“, murmelt Joe.
10. Kapitel
Wie konnte so ein charmanter und witziger Lebemann wie der Herr Pfarrer so einen griesgrämigen und todlangweiligen Sohn zeugen, fragte ich mich, während mir Willi eines seiner schwermütigen Mundartgedichte vorlas. Der Herr Pfarrer war leider tot. Herzinfarkt. Wahrscheinlich hatte er es doch ein bisschen zu wild getrieben.
Gelangweilt von Willis Vortrag, überlegte ich ernsthaft, ob dieser komische Junggeselle nicht Philip Mankur ermordet haben könnte. Eine ziemlich absurde Idee. Mir wollte beim besten Willen kein Motiv einfallen.
Meine deutlich sichtbaren Blessuren hatten meinen Jugendfreund nicht weiter interessiert. Er hatte von Anfang an penetrant auf mich eingeredet. Der Arme schien unter schwerer Logorrhoe zu leiden. Mein Mitleid mit diesem gescheiterten Dichter hielt sich in Grenzen. Nicht einmal sein schütteres Haar und seine Zahnprothese erweckten wohlwollende Gefühle in mir. Ich begriff nicht, wie ich diesen verklemmten, egozentrischen Typen als Vierzehnjährige nett und sensibel hatte finden können.
Die Wanderung hatte mich sehr ermüdet, und meinen schlimmen Sturz spürte ich bis in alle Glieder, trotz der beiden Schmerztabletten, die mir Dr. Braunsperger mitgegeben hatte. Die öde Stimmung im Café trug ebenfalls nicht dazu bei, mich von meinen Schmerzen abzulenken.
Willi war rechthaberisch und zwanghaft, ein typischer Mittelschullehrer eben. Außerdem missbilligte er meinen Zigarettenkonsum, kommentierte jede Zigarette, die ich mir anzündete. Ich mutierte bei diesem Treffen zur
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