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Gluecklich, wer vergisst

Gluecklich, wer vergisst

Titel: Gluecklich, wer vergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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dem See hängenden Wolken.
    In den Vormittagsstunden beschäftigte ich mich mit lauter Nebensächlichkeiten, um meine innere Anspannung loszuwerden. Ersatzhandlungen nennt man das. Dann rief ich Serner an.
    „Ich hole gerade deinen Vater ab. Wir sehen uns eh gleich“, sagte er fast vorwurfsvoll. Ich legte sofort auf.
    Nach diesem missglückten Telefonat begann ich aufzuräumen. Da ich nur eine Reisetasche voller Klamotten mitgenommen hatte, war ich in ein paar Minuten fertig.
    Victor und Jan trafen zu Mittag im Schloss ein. Ich freute mich, Jan zu sehen. Seine Gesellschaft war mir lieber als die der meisten Menschen. Ich schätzte seine Intelligenz, mochte sein Einfühlungsvermögen. Und sein Aussehen gefiel mir auch immer besser. Im letzten Jahr hatte er vier, fünf Kilo zugenommen. In seinem Fall war das keine lästige Alterserscheinung, sondern ein Riesenvorteil. Er wirkte männlicher, nicht mehr so jungenhaft.
    Victor war, wie immer, tadellos und passend zur Umgebung gekleidet. Dunkelbrauner Anzug mit Wildlederbesatz an den Ellbogen und Hirschhornknöpfen, dazu ein hellrosa Hemd, das seiner Sonnenbräune schmeichelte, und eine altrosa Krawatte. Der Landadel hat uns wieder, dachte ich.
    Die rührselige Wiedersehensszene zwischen Walpurga und Victor brachte mich fast zum Lachen. Walpurga war beinahe so groß wie mein Vater, aber um mindestens fünfzehn Kilo schwerer. Victor hatte Mühe, ihren wohlgerundeten Leib zu umfassen. Doch mein Vater liebte üppige Frauen. Seine Freundin Margarita war schwer übergewichtig.
    Die Begrüßung zwischen Serner und mir fiel dagegen richtig unromantisch aus. Eine flüchtige Umarmung. Ein kurzer Kuss auf den Mund. Sanft fuhr er mit dem Finger über die Schrammen in meinem Gesicht und zog fragend die Brauen hoch.
    „Ein kleiner Unfall. Bin auf einer Geröllhalde am Hochlecken ausgerutscht. Die Berge sind nicht so meines …“
    Sein besorgter Blick war Balsam auf meinen Wunden. Mein lieber Herr Papa hingegen schien meine Verunstaltung nicht einmal zu bemerken, als er mich umarmte.
    „Ich möchte sofort meinen Enkel sehen“, sagte er. Serner wollte in sein Hotel. Mit mir. Walpurga wollte uns alle zum Essen an einem Tisch versammeln. Ich konnte mich nicht dreiteilen und musste einsehen, dass ich es nicht zwei Männern und einer Frau gleichzeitig recht machen konnte. Daher schlug ich einen Kompromiss vor. Jan und ich würden Victor zu Mario bringen und danach gleich weiter ins Hotel fahren. Später würden wir alle zu einem frühen Abendessen ins Schloss kommen.
    Mein wahrhaft salomonischer Vorschlag wurde angenommen.
    Wir fuhren zu dritt hinunter zu Marios Bar.
    Wie nicht anders erwartet, machte Victor ein großes Theater um seinen Enkel. Mario und ich amüsierten uns auf seine Kosten. Wir zwinkerten uns zu, während Victor ihn minutenlang fest an sich drückte und betonte, wie glücklich er wäre, endlich sein „Baby“ in den Armen halten zu können.
    Manchmal war mein Vater richtig peinlich. Ich war an seine sentimentalen Ausbrüche gewöhnt. Jan wirkte jedoch leicht gereizt. Er gab mir zu verstehen, dass er am Nachmittag unbedingt mit seinen Kollegen von der Linzer Kriminalpolizei sprechen wollte.
    Jan war im Hotel Unterberger außerhalb der Gemeinde Seewalchen untergebracht, in dem Neonazis und gebrechliche Altnazis jährlich ihre Treffen abhielten. Das Hotel gehörte inzwischen angeblich dem Roither-Bauern, aber all das hatte Jan nicht wissen können, als er sich das Zimmer besorgt hatte.
    Während der Fahrt telefonierte Jan mit der Linzer Kripo. Ich bekam mit, dass die Polizei den Roither-Bauern verdächtigte, Heinz ermordet zu haben. Doch ich stellte keine Fragen, sondern erzählte Jan von den Veranstaltungen der Rechtsradikalen in seinem Hotel. „Wir gingen früher nie ins Unterberger essen, obwohl sie angeblich einen guten Koch hatten.“
    „Warum sollten Faschisten keinen Wert auf gediegene Küche legen?“, scherzte Jan.
    Mir war nicht nach Scherzen zumute. „Hier im Salzkammergut leben noch viele alte Nazis. In dieser gesunden Bergluft werden die Menschen alt. Leider lebt auch in ihren Kindern und Kindeskindern das faschistoide Gedankengut weiter“, erklärte ich ihm. „Ich bin erst letzten Sonntag in den Genuss solch dummen Geschwafels gekommen.“
    Jan nickte wissend. Sein kommunistischer Vater hatte bestimmt andere, viel schlimmere Erfahrungen mit Nazis gemacht als ich, dachte ich und sagte: „Gerechtigkeitshalber sollte ich dir auch von den vielen

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