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Gluecklich, wer vergisst

Gluecklich, wer vergisst

Titel: Gluecklich, wer vergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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Erziehungsmaßnahmen waren viel subtiler als die seiner Frau. Außerdem war er, wie gesagt, ein Sadist. Prügel waren zwar auch angesagt, aber meist bevorzugte er die feinere Klinge. Quälte Franzi mit seinen gemeinen Spielchen, brachte sie zum Beispiel dazu, über eine Leiter auf einen Baum zu klettern, um Obst zu pflücken und nahm dann die Leiter weg. Sie hat sich dort oben im Apfelbaum vor lauter Angst angemacht. Ich war dabei, ich habe damals heulend Victor zu Hilfe geholt. Oder wenn sie schrie wie am Spieß und es keinem gelang, sie zu beruhigen, sperrte Philip sie in der finsteren Scheune ein, wo es vor Mäusen und Ratten nur so wimmelte.“
    „Hat sie Mario auch gequält und misshandelt?“, unterbrach mich Jan.
    „Es hätte mich nicht gewundert. Ich bin eher überrascht, dass das nicht der Fall war. Opfer werden meist selbst zu Tätern. Sie hat einen anderen Ausweg gewählt: Die Flucht. Soviel ich mitgekriegt habe, war Franzi, als Mario klein war, nicht oft zu Hause.“
    „Apropos Wiederholungszwang. Den Mord an Philip könnte man durchaus als sadistische Tat beschreiben …“, unterbrach mich Jan.
    „Wir waren uns bereits einig, dass sie es nicht getan hat“, herrschte ich ihn an. „Franzi ist eine emotional instabile Persönlichkeit, aber deswegen ist sie noch lange keine Mörderin.“
    Während des Essens vermieden wir dieses unangenehme Thema. Nachdem die Kellnerin unsere leeren Teller abserviert hatte, fragte mich Jan über das Verhältnis zwischen Albert und Franzi aus.
    „Sie liebte ihn, wie man eben als kleines Mädchen einen älteren Bruder liebt. Er war ihr Vorbild, der Held in ihren Träumen. Als Franzi klein war, himmelte sie ihn an und bemühte sich, ihm zu gefallen. Von ihrer Mutter fühlte sie sich von jeher ungeliebt. Philip war unberechenbar, also klammerte sie sich an ihren Bruder. Sie litt sehr, wenn er unter der Woche im Internat war. Zum Glück kam er fast jedes Wochenende nach Hause. Die Ferien waren sowieso die schönste Zeit des Jahres für sie.“
    „Und er? Wie behandelte er seine kleine Schwester?“, fuhr Jan fort, mich auszufragen.
    „Ich glaube, er konnte sie nicht leiden. Doch er ließ sich seine Ablehnung nicht anmerken. Wahrscheinlich beneidete er Franzi auch, weil sie zu Hause sein durfte, während er in diesem fürchterlichen Internat eingesperrt war. Andererseits konnte er sich der Liebe seiner Mutter ohnehin sicher sein. Sie erstickte ihn fast damit. Philip hingegen war eifersüchtig auf den Jungen und behandelte ihn schlecht …“
    „Und später?“
    „In unserem letzten gemeinsamen Sommer am See hatte ich den Eindruck, dass Franzis Interesse an ihrem Bruder stark nachgelassen hatte. Mit ihm war nicht mehr viel anzufangen. Er war ihr zu unmännlich, nehme ich an. Er fuhr nicht einmal Auto, obwohl er einen Führerschein besaß. Selbst sein Mofa interessierte ihn nicht. Franzi düste andauernd damit herum. Und so richtig Spaß haben konnte man auch nicht mit ihm. Er war immer sehr ernst und verschlossen. Ich glaube, sie fand ihn schlicht und einfach uncool und langweilig. Albert hatte nur Augen für ältere Frauen, vor allem für meine Mutter. Mir war er schon damals unheimlich, allerdings fühlte auch ich mich von ihm angezogen.“
    „Du warst verliebt in diesen komischen Typen?“ Jan klang fast angeekelt.
    „Ich war dreizehn und sehr pubertär. Manchmal ließ er sich dazu herab, mit mir tiefgründige Gespräche zu führen. Er faszinierte mich, genauso wie er früher Franzi fasziniert hatte. Willi und Gustav konnten ihm nicht das Wasser reichen. Aber es ist natürlich schiefgegangen. Ich wusste damals noch nicht, was Verliebtheit anrichten kann. Vor allem konnte ich ihm nicht zeigen, was ich für ihn empfand. Stürmische Idealisierungen enden zwangsläufig mit herber Enttäuschung. Er sollte nicht meine letzte unglückliche Liebe sein. Aber zum Glück sind wenigstens nur meine platonischen Lieben unglücklich geblieben.“
    Ich drückte Jan einen Kuss auf die Wange. Und damit war dieses unerfreuliche Thema beendet.
    Als wir in Seewalchen von der Autobahn abfuhren, bat ich Jan, mich hinauf ins Schloss zu bringen. Ich hatte meinem Vater versprochen, ihm zu berichten, was Franzi gesagt hatte. Jan protestierte vehement, respektierte aber schließlich meinen Wunsch und gab nach. Auch deshalb liebte ich diesen Mann.
    Als er mich vor dem Schloss absetzte und mir einen langen Abschiedskuss gab, wehrte ich mich nicht. Als er meinen Busen zu streicheln begann,

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