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Gluecklich, wer vergisst

Gluecklich, wer vergisst

Titel: Gluecklich, wer vergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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wandte mir sein schönes Profil zu und zündete sich einen Zigarillo an.
    „Rauchst du neuerdings ohne Filter?“, fragte ich ihn spöttisch.
    „Lass mich in Frieden. Du bist genauso misstrauisch wie deine Mutter.“
    „Ich fasse das als Kompliment auf“, sagte ich. Doch bevor wir uns endgültig in die Haare kriegen würden, fragte ich ihn noch einmal: „Wie war das nun wirklich mit dem Selbstmord des Barons?“
    „Er hat sich erhängt, mehr weiß ich nicht“, sagte er knapp.
    Keine schöne Art zu sterben, dachte ich.
    „Und wer hat ihn gefunden?“
    „Weiß ich nicht. Doktor Braunsperger war jedenfalls vor Ort. Er hat den Tod festgestellt. Wie ich ihn kenne, hat er bereits damals gehofft, dass ihn Walpurga nach einer angemessenen Trauerzeit heiraten würde. Er war ihr Vertrauter und wusste über ihre unglückliche Ehe ebenso Bescheid wie ich. Seine vornehme Zurückhaltung wurde ihm jedoch nicht gelohnt. Zwei Jahre später erlag sie den Verführungskünsten dieses Operettentenors.“
    „Könnte Walpurga nicht ihren ersten Mann mit Hilfe des verliebten Arztes umgebracht haben? Sein Schweigen war Hilfe genug, denke ich.“
    Mein Vater schüttelte heftig den Kopf. „Du hast zu viele schwarze Gedanken, zu viele böse Phantasien, mein Kind. Wie sollte eine schwache Frau wie Walpurga einen 1,85 großen Mann wie den Baron aufhängen – das ist vollkommen absurd.“
    Ich gab klein bei. „Vielleicht hat sie ihn in den Tod getrieben und der Doktor hat ihr geholfen, alles zu vertuschen. Franzi glaubt das ebenfalls. Deshalb kann sie diesen Arzt auch nicht leiden.“
    „Der alte Welschenbach war ein kaputter Typ. Dekadent, bankrott und schwer depressiv. Walpurga hat mit seinem Tod nichts zu tun gehabt, glaub mir, mein Schatz.“
    „Es war immer die Rede von einem dunklen Geheimnis, was den Selbstmord des Barons betrifft. Warum habt ihr nie offen mit mir darüber gesprochen?“, fragte ich.
    „Walpurga wollte nicht, dass darüber geredet wird.“
    „Und was Walpurga will, das geschieht“, sagte ich zynisch.
    Er sah mich mit seinem treuherzigsten Blick an. Ich wünschte ihm einen gute Nacht und hoffte, ihm jede Menge Zweifel eingejagt zu haben.
    Da ich leichte Kopfschmerzen hatte, wollte ich noch ein bisschen frische Luft tanken. Ich machte einen kleinen Spaziergang rund ums Schloss. Die Gedanken an Walpurga ließen sich nicht vertreiben. Nachdem ich meine Mutter so früh verloren hatte, fühlte ich mich zu älteren Frauen stark hingezogen, brachte ihnen viel mehr Verständnis entgegen als die meisten Frauen in meinem Alter. Aber das war ein Riesenfehler.
    Hau ab, Joe, nichts wie weg von diesem düsteren Schloss mit seinen schrecklichen Geheimnissen, weg von dieser egozentrischen, skrupellosen Frau, die nicht nur zwei Männer, sondern auch ihre Tochter auf dem Gewissen hat, sagte ich mir. Ich war mittlerweile überzeugt davon, dass sie ihren ersten Mann in den Tod getrieben und zumindest Mitschuld am Tod ihres zweiten Mannes hatte. Außerdem hielt ich sie für egoistisch genug, ihre Tochter dafür büßen zu lassen.
    Plötzlich erinnerte ich mich an den Tag, an dem ich die erste und einzige Ohrfeige meines Lebens bekommen hatte. Und zwar von Walpurga.
    Sie hatte uns Kindern gefülltes Huhn zu Mittag versprochen und uns gebeten, ihr zu helfen, eine Henne einzufangen. Ich war etwa acht Jahre alt gewesen.
    Bald bereute ich meine Hilfsbereitschaft. Kaum hatte Walpurga das Huhn in den Fingern, griff sie nach der Axt und schlug ihm den Kopf ab. Das Huhn rannte ohne Kopf mindestens zehn Meter weiter. Ich wurde hysterisch, bekam einen Heulkrampf. Walpurga gab mir eine Ohrfeige.
    Ich versteckte mich damals im linken, gesperrten Trakt des Schlosses, hatte mir ein Buch und eine Tafel Schokolade mitgenommen und spionierte in dem verfallenen Gemäuer herum. Wie ich später erfuhr, hatten sich Gisela und Victor große Sorgen um mich gemacht. Den ganzen Nachmittag lang hatten sie mich gesucht. Franzi hatte gewusst, wo ich mich versteckt hielt, hatte mich aber nicht verraten.
    Abends belauschte ich mit Franzi von ihrem Zimmer aus ein Streitgespräch zwischen Walpurga und Gisela, die Walpurga vorwarf, mich geschlagen zu haben. Ich war damals sehr stolz auf meine Mutter, die Walpurga lautstark kritisierte.
    Am nächsten Morgen entschuldigte sich Walpurga bei mir für die ungerechte Ohrfeige. Ich empfand große Genugtuung. Danach träumte ich nächtelang von der mörderischen Walpurga.

    Auf einmal sah ich, so wie schon an einem der

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