Glücksfall
einfach hängen lassen. Ich habe Verlassensängste!«
»Bleib ganz ruhig«, rief Jay nach oben. »Wir kümmern uns drum.«
»Ich kann nicht ruhig bleiben! Ich bin nicht ruhig! Ich brauche eine Xanax! Hat jemand eine Xanax?«
»Ich muss das Programm für Frankie neu starten«, sagte Clive und presste hektisch die Tasten. »Das dauert eine Weile.«
»Ich brauche eine Xanax!«
John Joseph war wieder auf dem Boden angekommen. »Nehmt mir das verdammte Geschirr ab!«, befahl er, und ein Schwarm verängstigter Roadies kam herbeigeeilt und tat, wie er befohlen hatte.
»Das ist doch lächerlich!«, sagte John Joseph mit leiser Stimme und verhaltenem Zorn. »Das Ganze ist doch eine einzige beschissene Farce.« Er war aufs Äußerste gereizt und presste die Kiefer zusammen, was ihm anatomisch gesehen einiges abverlangte. Aber es war sehr effektiv, viel effektiver als ein Wutausbruch mit Fußaufstampfen.
John Joseph richtete seinen Zorn erst gegen Jay, dann gegen Harvey, dann gegen Clive, den Mann am Schaltpult. Sie waren unfähig, faul und dumm, lauter Amateure, die das Leben von Menschen in Gefahr brachten. Er warf mit Vorwürfen um sich wie mit Messern, unterdessen hing Frankie noch immer unter der Decke und rief klagend: »Helft mir doch, um Gottes willen, helft mir. Ich brauche eine Xanax.«
Er lief Gefahr, über John Josephs Zorn ganz vergessen zu werden.
»Roger.« Oberbefehlshaberin Zeezah marschierte zu Roger hinüber, der ebenfalls wieder festen Boden unter den Füßen hatte und gerade mithilfe der Roadies von dem Geschirr befreit wurde. »Gib mir eine Xanax für Frankie.«
»Woher soll ich denn eine Xanax haben?« Oh! Dass er es wagte! Zeezah schnipste mit den Fingern – ja doch, sie schnipste allen Ernstes mit den Fingern! (Ich hätte nicht geglaubt, dass ich das im wirklichen Leben einmal erleben würde) –, und Roger trottete gefügig zu seinem Jackett, das am Rande der Bühne lag. Er zog eine Brieftasche aus einer der vielen Taschen hervor, kramte einen Moment lang darin herum und legte dann eine kleine weiße Tablette in Zeezahs Hand.
»Vielen Dank«, sagte sie schnippisch und schloss die Hand über der Tablette. Sie rief zu Frankie hinauf: »Ich habe eine Xanax für dich.«
»Und wie willst du sie zu ihm hochkriegen?«, fragte jemand.
»Jemand muss hochgezogen werden«, sagte Harvey.
»Ich mache das selbst«, sagte Zeezah. Und schon legte sie sich das Geschirr an. Sie war bemerkenswert cool. Tapfer, könnte man sagen. John Joseph konnte sich glücklich schätzen, dass er sie hatte. Trotz der gelben Jeans.
Ich sah zu, wie sie nach oben schwebte, bis sie auf Frankies Höhe war, und ihm die Tablette gab. Doch statt gleich wieder runterzukommen, blieb sie da oben, sprach leise auf Frankie ein und versuchte offensichtlich, ihn zu beruhigen. Großartig. Beeindruckende Frau.
John Joseph machte abrupt kehrt und ging zum Parkett, wo er sich in der ersten Reihe niederließ. Er ging allein, und alle Energie ging mit ihm. Man sah, dass die Mann schaft vor Schreck wie erstarrt war. Verstohlen wurden ängst liche Blicke in seine Richtung geworfen, während man wartete, dass sein Zorn verrauchte und die Atmosphäre sich beruhigte.
Oben unter der Decke zeigte die Xanax ihre Wirkung, denn Frankie hatte aufgehört zu schreien, und sein Kopf neigte sich zur Seite. Auch das eine Kunstinstallation. Sie könnte den Titel »Lynchen« haben. Ich erschauderte.
Jay Parker stand immer noch neben mir. Ich spürte, dass seine Lebenskraft stark abgenommen hatte. Oder anders ge sagt, er wirkte deprimiert.
»Kann ich jetzt John Joseph und Roger meine Frage stellen?«, fragte ich. Er warf einen Blick in das Dunkel des Zuschauerraums. Man konnte John Joseph nicht sehen, aber man spürte ihn.
»Viel Glück damit«, sagte Jay. »Übrigens, hier ist noch mal Geld. Zweihundert Euro.« Er gab mir ein Päckchen Scheine.
»Mir gefällt es so nicht, Parker«, sagte ich. »Dieses Stückwerk. Gib es mir alles auf einmal. Geh zur Bank und hol das Geld.«
»In Ordnung, mach ich, sobald es geht. Montag. Nur die Zeit ist so knapp …«
Ich steckte mir die Finger in die Ohren. »Lalalalalahhh! Ich höre dein Gejammer gar nicht. Lalalalalahhh! Gut, ich spreche jetzt mit John Joseph.«
Ich stieg die Stufen von der Bühne hinunter und begab mich in John Josephs angsteinflößendes Kraftfeld.
Ich habe keine Angst vor John Joseph Hartley.
Er hämmerte wütend auf die Tasten seines Laptops. Als ich näher kam, hob er den Kopf und sagte
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