Glücksfall
gut, versuchen wir es mal.«
Wir hielten uns an den Händen, und ich versuchte das mit dem Kreischen, aber es ist so, wie wenn man auf Kommando lachen soll – es so hinzukriegen, dass es natürlich klingt, ist schwer.
»Jetzt die Umarmung«, sagte sie.
Pflichtbewusst umarmte ich sie und sagte: »Ich freue mich so sehr für dich.«
»Du musst weinen«, sagte sie.
»Das kann ich nicht«, sagte ich. »Ich glaube, ich stehe unter Schock.«
» Du stehst unter Schock?«
»Komm«, sagte ich, »wir legen uns auf Bett und jammern über dies und das und versuchen, unser inneres Gleichgewicht wiederzuerlangen.«
Wir legten uns nebeneinander auf mein Mutter-Oberin-Bett, und um einen Anfang zu machen, hielt ich eine Klagerede über Menschen, die Tabletts benutzten. »Ich weiß, dass es eine bequeme Methode ist, die Teetassen und so in die Küche zu transportieren, aber es ist so spießig.«
»So richtig Fünfzigerjahre!«
»Ich würde lieber jeden Teelöffel einzeln in die Küche tragen, als ein Tablett zu benutzen.«
»Muss ich ein Kleid anziehen?«
»Um einen Teelöffel zu tragen?« Einen Augenblick wusste ich nicht, wovon sie sprach. »Ach so, zum Heiraten. Du musst nichts tun, was du nicht willst. Du bist Bronagh Keegan.«
»Nicht mehr lange.«
»Was meinst du damit? Du nimmst Blakes Namen an?«
»Wahrscheinlich.«
»Mann. Das musst du nicht, weißt du?«
»Aber ich glaube, ich will es. Muss ich dann ein Kleid anziehen?«
»Du machst es mit Kirche und allem Drum und Dran?«
»Ja. Ich werde mir so blöd vorkommen in einem Kleid. Völlig idiotisch.«
Ich hatte sie nie in einem Kleid gesehen, aber ich konnte mir vorstellen, dass sie komisch aussehen würde.
»Zieh doch einfach Jeans und einen Kapuzenpulli an«, schlug ich vor.
»Vielleicht. Wenn sie weiß wären?«
»Ja … vielleicht.«
»Kannst du meine Brautjungfer sein?«
»Klar! Sicher! Danke. Ich meine, es wird mir eine Ehre sein. Wird es noch mehr geben?« Aber mir fiel niemand ein, der noch dafür infrage kam.
»Nein. Nur du.«
Es heißt, eine Braut sieht immer schön aus.
Aber man hätte nicht wirklich sagen können, dass Bronagh schön aussah. Sie trug das schlichteste Hochzeitskleid, das man je gesehen hatte – der Schneiderin hatte sie gesagt, sie solle ihr einfach ein weißes Laken über den Kopf werfen und ein Loch für den Kopf hineinschneiden, und obwohl es die arme Schneiderin beinahe umbrachte, gab sie sich Mühe, den Auftrag zu erfüllen.
Bronagh trat mit wildem Blick an den Altar, als hätte sie ein waghalsiges Kunststück vor. (Als ich mir später das Video ansah, war es wie der Anfang eines Horrorfilms, wenn man sich die Fingernägel in die Handflächen gräbt, weil man jeden Moment damit rechnet, dass etwas Schreckliches pas siert. Und das umso mehr, als auf Blakes Gesicht ein leicht debiler Ausdruck von Liebe und Dankbarkeit stand.) Bis zur letzten Sekunde rechnete ich damit, dass Bronagh sich auf dem Absatz umdrehen und wieder aus der Kirche stürmen würde oder dass sie etwas Unerhörtes tun würde, wie Blakes Vater abzuknutschen, aber nein, alles ging glatt über die Bühne.
42
I m Haus meiner Eltern war mein ganzer Kram ausgepackt und ordentlich verstaut worden. Die Kleider hingen im Kleiderschrank, die Unterwäsche lag gefaltet in Schubladen, und das Nacktfoto von Artie steckte verborgen unter einem kleinen Berg ordentlich zusammengerollter Strümpfe.
Auf dem Boden des Kleiderschranks waren meine zwei Dutzend Paar sehr hübschen, sehr hohen Schuhe aufgereiht: mit Leopardenmuster, mit Zehenloch, mit Schnalle, mit Glitter, mit Riemchen, so viele verschiedene. Ich starrte sie an, als sähe ich sie zum ersten Mal in meinem Leben. Sie waren so schön, aber sie sahen ganz schön schwierig aus. Wie konnte ich mich in ihnen aufrecht halten? Es war mir unvorstellbar, dass ich vor noch gar nicht langer Zeit sogar in ihnen gerannt war.
In meiner Zeit mit Jay Parker hatte ich praktisch immer High Heels getragen. Damals war ich eine sehr aufsehenerregende Erscheinung gewesen. Mit Artie zusammen war es anders, viel unauffälliger. Sicher, gelegentlich hatten wir Ausgang (allerdings gehörten sowohl der Ausdruck als auch das Konzept in die Tonne), aber die Zeit, die wir miteinander verbrachten, und wie wir sie verbrachten, wurde größtenteils von seinen Kindern bestimmt.
Aber wenigstens hatten sie mich kennengelernt, sie wussten, dass ich existierte.
Artie und ich waren nämlich ganz schön ins Schlingern geraten, weil er
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