Glücksfall
erwachsen?
Ich hätte es wirklich gern gewusst, aber um es herauszufinden, müsste ich in ihr Haus einbrechen, und an einem Sonntagnachmittag in einer Vorortsiedlung, wo ich im Blickfeld von ein paar Jungen war, die auf der Wiese mit Streichhölzern hantierten (was ist nur los mit den elfjährigen Jungen, dass sie so gern Dinge anzünden?), würde man mich entdecken. Birdies Haus machte mich neugierig, aber nicht so neugierig, dass ich riskieren wollte, verhaftet zu werden – das bringt es vielleicht auf den Punkt.
Bevor ich ging, schrieb ich Birdie ein Briefchen und erklärte, ich wollte nur mal »vorbeischauen« und habe sie, sehr zu meinem Bedauern, nicht angetroffen, aber wenn sie sich mit mir unterhalten wolle, würde ich mich darüber freuen, und wenn sie mir sagen könnte – obwohl dadurch vielleicht alte Wunden aufgerissen würden –, wo ich Gloria finden könnte, wäre ich ihr sehr dankbar, und hier war meine Nummer.
Meine Hoffnung, damit etwas zu erreichen, war nicht sehr groß, aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt, richtig?
Ich setzte mich wieder ins Auto und ließ den Kopf gegen die Kopfstütze sinken. Drinnen pochte es, und ich war erschöpft. Es kostete ganz schön viel Energie, einen Ausbruch von Depression zu überleben. Mir war klar, dass es aussah, als würde ich nur durch die Gegend kurven und so gut wie gar nichts tun, aber die inneren Qualen brachten mich fast um.
Ich nahm vier Schmerztabletten und schloss die Augen. Ich dachte an eine Freundin meiner Mutter, die Brustkrebs hatte. In ihrer Familie gab es keine Vorgeschichte mit Krebs, sie rauchte nicht, sie hatte weder eine Hormonbehandlung gemacht noch unter Dauerstress gelebt noch an der »Operation Wüstensturm« teilgenommen, noch traf irgendein anderer Grund zu, der gewöhnlich als mögliche Ursache für Krebs erwähnt wird, um dem Kranken Schuldgefühle und Angst zu machen. Selbst in einem hyperkritischen Universum konnte man nicht behaupten, sie habe die Krankheit »nur sich selbst zuzuschreiben«. Jedenfalls, sie machte eine Chemotherapie, wovon ihr speiübel wurde und die Haare ausfielen, auch die Wimpern, und sie war so schwach, dass sie sich nicht einmal mehr Come Dine with Me ansehen konnte. Nach der Chemotherapie bekam sie Bestrahlung, was ihre Brust so stark verbrannte, dass sie nachts nicht einmal ein Laken auf der Haut ertrug, und sie so sehr schwächte, dass sie in ihrem Wohnzimmer über den Boden kriechen – buchstäblich kriechen – musste. Dann wuchs ihr Haar nach – anders, als es vorher war, nicht lockig, sondern glatt. Das war vor zwanzig Jahren. Sie lebt heute noch. Es geht ihr gut. Sie spielt Bridge. Sogar ganz ordentlich. Vor Kurzem hat sie einen Gutschein für zwei Übernachtungen in einem Drei-Sterne-Hotel in Limerick gewonnen. (Mum war Zweite und hat nur eine Dose Kekse bekommen. Was sie ganz schön geärgert hat.)
Dann fiel mir eine andere Frau ein, eine Freundin meiner Schwester Claire. Auch sie hatte Brustkrebs. Wie bei Mums Freundin gab es auch in ihrer Familie keine Vorgeschichte, sie rauchte nicht, sie hatte weder eine Hormonbehandlung gemacht noch unter Dauerstress gelebt noch an der »Operation Wüstensturm« teilgenommen, noch traf irgendein anderer Grund zu, der gewöhnlich als mögliche Ursache für Krebs erwähnt wird, um dem Kranken Schuldgefühle und Angst zu machen. Selbst in einem hyperkritischen Universum konnte man nicht behaupten, sie habe die Krankheit »nur sich selbst zuzuschreiben«. Jedenfalls, sie machte eine Chemotherapie, wovon ihr speiübel wurde und die Haare ausfielen, auch die Wimpern, und sie war so schwach, dass sie sich nicht einmal mehr Countdown ansehen konnte. Nach der Chemotherapie bekam sie Bestrahlung, was ihre Brust so stark verbrannte, dass sie nachts nicht einmal ein Laken auf der Haut ertrug, und sie so sehr schwächte, dass sie in ihrem Wohnzimmer über den Boden kriechen – buchstäblich kriechen – musste.
Diese Frau – sie hieß Selina – versuchte auch ein paar New-Age-Heilmethoden, zusätzlich zu der konventionellen Behandlung. Sie kämpfte, könnte man sagen, an mehreren Fronten gleichzeitig. Sie war eine große Befürworterin von positivem Denken, sie wollte »den Krebs besiegen«. Sie machte Yoga, Einläufe mit Kaffee, Visualisierungen. Sie gab ein Vermögen, das sie nicht hatte, für einen Betrüger in Peru aus, der versprach, ihren Krebs mit seinen Beschwörungen wegzuzaubern. Und was soll ich sagen? Sie ist gestorben. Sie war vierunddreißig.
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