Glücksfall
Kinderutensilien. Über Frankies rechter Schulter lag ein Mulltuch, und am linken Hosenbein war ein milchiger Kotzstreifen zu sehen.
Jay, der in seinem dunklen Anzug und der schmalen Krawatte hip und weltgewandt und völlig fehl am Platz aussah, blieb mit verächtlicher Miene, von der Unordnung deutlich angewidert, an der Zimmertür stehen.
Frankie nahm meine Hand und führte mich zum Sofa. »Schmeiß das alles auf den Fußboden, Helen. Ist egal, was es ist, mach schon, es spielt keine Rolle.« Mit einer ausholenden Bewegung beförderte er Fläschchen und Lätzchen und Kekse und Strampelhöschen auf den Teppich und wiederholte die Bewegung so lange, bis er genügend Platz geschaffen hatte, dass wir uns beide setzen konnten.
»Komm schon, Jay, Schatz«, rief er. »Jetzt ist Platz.«
»Ich stehe hier gut, Frankie.« Und Jay zog sich noch ein bisschen weiter in seine Ecke bei der Tür zurück.
»Wie du willst, keiner zwingt dich.« Frankie wandte Jay den Rücken zu, er richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf mich und sah mich sogar direkt an. »Helen. Ich bin reich gesegnet, Helen, sehr reich. Das Fernsehen, die Kinder, das Comeback – der Alte da oben meint es gut mit mir.« Er drehte seine Augen zur Decke, zog dann ein kleines goldenes Kreuz aus seinem Halsausschnitt und küsste es. »Aber ich würde gern einmal eine Nacht schlafen, Helen. Vier Stunden am Stück.« Seine Augen füllten sich mit Tränen, die er schnell wegwischte. »Der Baby-Blues.« Dann drehte er sich um und rief über die Schulter: »Jay, Schatz, singst du im Kopf die Wilson-Pickett-Songs?«
Bevor Jay antworten konnte, hatte Frankie sich wieder zu mir umgedreht. »Sieht er nicht so aus, als würde er Wilson-Pickett-Songs im Kopf singen? Oder einen von Otis Redding? Jedenfalls etwas Sentimentales? Um diese Unordnung auszuschalten. ›Sitting on the dock of the bay‹ … Sitzt du da gerade, Jay, Schatz? Ich mach das auch, Helen, ich singe in meinem Kopf, um wegzukommen, aber ich singe lieber Boney M., ›By the Rivers of Babylon‹, da würdet ihr mich finden.«
Aus einem anderen Zimmer hörte man Babyweinen.
»Sie sind engelhaft, Helen, alle beide, aber ich bin mir nicht sicher, dass das mit den Zwillingen eine gute Idee war. Kaum hört eins auf zu weinen, fängt das andere an. Myrna und ich, wir sind am Ende. Ohne die Botox-Spritze, die Jay mir verordnet hat, sähe ich jetzt aus wie vierzig. Helen, Schatz, hast du was von Wayne gehört?«
»Das wollte ich gerade dich fragen.«
»Stunde der Barmherzigkeit.« Er bohrte sich die Faust in die Wange. »Ich bin mit meinen Nerven am Ende, Helen. Du musst ihn finden. Ich brauche das Geld unbedingt. Ich habe haufenweise Schulden, und jetzt bin ich auch noch für eine Familie verantwortlich. Die Wohnung haben wir gemietet, und du siehst ja selbst, sie eignet sich nicht für kleine Kinder.« Das stimmte, es war eng, überall lagen Sachen rum. »Die Leute denken, ich schwimme im Geld, Helen, wegen der Fernsehauftritte, aber das stimmt nicht, Helen. Die sind richtig knauserig. Als Verkehrshelferin am Zebrastreifen würde man mehr verdienen, und das ist die Wahrheit.«
»Hast du eine Ahnung, die leiseste Ahnung, was Waynes Passwort für den Computer sein könnte?«
Frankie sah mich entgeistert an. »Waynes Passwort? Ich weiß ja nicht mal meins, in meinem Zustand heute.«
»Erzähl doch mal, Frankie, was für ein Typ ist Wayne eigentlich so?«
»Ein ganz Lieber, Helen, ein Schatz. Wir mögen ihn alle richtig gern. Stimmt schon, manchmal ist er ein bisschen anstrengend und niedergeschlagen und wortkarg, und manchmal weigert er sich, Gitarre zu spielen, und sagt, wir sollen ihm lieber beide Arme mit einem rostigen Buttermesser absäbeln, und dann muss man ihm gut zureden, und das dauert und dauert und hält uns alle auf, und die ganze Zeit könnten wir bei unseren Lieben sein, aber bestimmt hat er seine Gründe dafür … Ein Schatz, Helen, das ist er, ein ganz Lieber.«
»Hast du eine Ahnung, wo er jetzt sein könnte?«
»Er macht nicht einfach blau. Aber es ist kein Ort, auf den man gleich kommt.«
»Das sagen alle. Aber worauf kommt man nicht gleich?«
Jetzt fing ein zweites Baby an zu weinen. In der Wohnung herrschte eine Atmosphäre nur mühsam im Zaum gehaltener Hysterie. Für mich war das überhaupt nichts, es machte mich kolossal nervös.
Ich bat Frankie, sich vorzustellen, wo Wayne sein könnte, so wie bei John Joseph und Zeezah. »Egal was, und wenn es noch so verrückt klingt.« Denn
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