Glücksfall
im Sowjetstil von der Bildfläche, und Frankie nahm ihren Platz ein. Kurz darauf wurde ihm, in einem kühnen, die strenge Hierarchie von RTÉ missachtenden Sprung, die Moderation von The Rose of Tralee übertragen, und sofort kamen Gerüchte in Umlauf, dass er für Saturday Night In vorgesehen war, sobald Maurice McNice abtrat. Man konnte ohne Übertreibung sagen, dass er auf dem Sektor der leichten Unterhaltung in Irland hockte wie ein aufgedonnerter Koloss mit künstlich gebräunter Haut.
Seine Lebensgefährtin war ungefähr fünfzehn Jahre älter als er. Myrna, den Nachnamen weiß ich nicht. Sie kam aus Vermont, hatte kurze graue Locken, ein herausfordernd ungeschminktes Gesicht und einen zu den Wechseljahren passenden Kleidungsstil. Sie gehörte zu den Adventisten vom Siebenten Tag, was immer die waren, und wenn sie jemanden witzig fand, sagte sie: Der ist »zum Piepen«.
Während wir warteten, ob Frankie sich melden würde, ging ich ein paar Schritte weiter, bis ich außer Jays Hörweite war, und rief Artie an. Mit ihm zu sprechen würde mich trösten, aber zu meiner Überraschung (von der unangenehmen Sorte) war sein Telefon ausgeschaltet. Ich hatte zu lange gewartet, er war schlafen gegangen. »Ich bin’s«, sagte ich zu seiner Sprachbox. »Es tut mir leid, dass es so spät geworden ist. Du wirst es nicht glauben, aber ich habe einen Auftrag. Ich rufe dich morgen an.« Jetzt der Abspann. Wie sollte ich meine Nachricht beschließen? Wir kannten uns seit fast sechs Monaten, und keiner von uns hatte auch nur ein einziges Mal das Wort »Liebe« benutzt. Stattdessen hatten wir andere, »ironische« Versionen gefunden, es auszudrücken. »Sei versichert«, sagte ich, »dass ich dich aufs Äußerste wertschätze.«
Dann hörte ich die Nachricht ab, die er mir aufgesprochen hatte.
»Baby, ist alles in Ordnung? Du hättest mir das mit der Wohnung sagen sollen. Wir sprechen darüber. Vonnie ist gegangen, die Kinder sind im Bett, kommst du noch mal vorbei?«
Oh, einen Moment lang, der Gedanke … dass ich meinen Schlüssel in sein Türschloss stecken, auf Zehenspitzen durch sein stilles Haus gehen, mich ausziehen und in sein Bett schlüpfen würde, dass ich näher an ihn heranrücken, seine Haut an meiner spüren würde. Aber ich hatte zu tun.
»Wie immer du dich entscheidest«, war sein Schlusssatz, »ich bleibe dir stets gewogen.«
Ich schaltete das Handy ab und drehte mich zu Jay um, der viel näher stand, als ich gedacht hatte. »SMS von Frankie«, sagte er.
»Was schreibt er?«
Jay gab mir sein Handy, und ich las:
Gut von dir zu hören, Jay, komm vorbei, die Babys sind ein Geschenk von dem Mann über uns, aber sie weinen die ganze Zeit. Nichts von Wayne? Wenn wir ihn nicht finden können, sitzen wir in der Scheiße, sorry, muss an Schulkosten für die Kinder denken, bin doch nicht aus Geld gemacht, bloß weil ich im Fernsehen auftrete, aber RTÉ ist knauseriger als jeder Geizhals. Grüße, Umarmung xoxoxo.
»Komm«, sagte ich, »fahren wir hin.«
Auf der Fahrt sagte Jay: »Erinnerst du dich an unseren ersten Abend?«
»Nein.«
Es war auf einer Party. Ich war nicht eingeladen. Später erfuhr ich, dass er auch nicht eingeladen war.
Er tanzte zu einem James-Brown-Song, als ich ihn sah. Er war ein richtig guter Tänzer, und die Musik war auch richtig gut. Aber der Song war noch nicht halb vorbei, da rief er dem DJ schon zu, was anderes aufzulegen.
Es war nur zu offensichtlich, dass wir viele Gemeinsamkeiten hatten: kurze Aufmerksamkeitsspanne. Ständige Gereiztheit. Grundlegende existenzielle Unzufriedenheit.
Nach einem kurzen Gespräch stellten wir weitere Übereinstimmungen fest: eine Abneigung gegen Kinder und Tiere. Der Wunsch, viel Geld zu verdienen, ohne die nötige harte Arbeit dafür zu leisten. Eine Begeisterung für Hula-Hoops.
Ganz offensichtlich waren wir füreinander bestimmt.
Als wir weggehen wollten, stellte eine Frau sich vor uns, und ihr Gesicht strahlte vor Freude. »Ihr zwei seid entzückend. Ihr seht wie Zwillinge aus, Hänsel und Gretel, aber böse.«
Zwillinge könnte man sagen. Jay und ich waren drei Monate zusammen, drei Monate voller Spaß und Vergnügen. Dann fand ich heraus, was er wirklich für einer war, und das war’s dann.
Frankie redete ohne Pause, und er machte das, was Politiker auch immer machen: Er sprach sein Gegenüber in jedem Satz fünfzehnmal mit Namen an. In dem kleinen Wohnzimmer trat man überall auf Windeln und Babyunterlagen und andere
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