Glücksfall
zugeknöpften Art und welches Vergnügen es sein könnte, ihn aus der Reserve zu locken, sodass ich, obwohl er der Vater von drei Kindern war, überlegte, ihn anzurufen und vielleicht ein bisschen anzumachen.
Doch dann funkte das Schicksal (obwohl ich nicht daran glaube) dazwischen. Am nächsten Tag, wirklich, genau am Tag danach – ist das zu glauben? – begegnete ich Jay Parker, und obwohl ich es immer noch nicht fassen kann, waren von da an alle Gedanken an Artie Devlin wie aus meinem Kopf geblasen.
13
A ls Privatdetektiv hat man nur selten mit ordentlichen Vermisstenfällen zu tun. Natürlich, meine Arbeit klang unglaublich aufregend, wenn ich erzählte, dass ich nach Antigua und Paris reiste, aber im Grunde war es die meiste Zeit nur ein ganz gewöhnlicher Job und hatte in erster Linie mit der Überprüfung von Fakten zu tun. Im letzten Jahr zum Beispiel verbrachte ich zwei der langweiligsten Monate meines Lebens, als eine Gruppe reicher Amerikaner irischer Abstammung mich mit der Erstellung von Familienstammbäumen beauftragte und ich zahllose Tage in der staubigen Dunkelheit eines Archivs inmitten von Geburts-, Sterbe- und Heiratsregistern meine Nachforschungen anstellen musste.
Doch so langweilig es auch war, ich war dankbar für den Auftrag.
Wie hatte Irland sich verändert! Auf dem Höhepunkt des wirtschaftlichen Wachstums, als Irland zu Recht der Keltische Tiger genannt wurde, hatten die Menschen geradezu verzweifelt nach neuen Dingen gesucht, für die sie ihr Geld ausgeben konnten. Damals bekam ich ständig Aufträge, Ehegeschichten auszukundschaften: Männer oder Frauen, hauptsächlich Frauen, wollten herausfinden, ob ihr Partner eine Affäre hatte. Einige der Frauen hatten echte Gründe für einen Verdacht, aber viele engagierten mich nur, um mitreden zu können – sie hatten sich Strähnchen färben lassen, besaßen Tausend-Euro-Handtaschen und eine Anlageimmobilie in Bulgarien. Und wenn die Nachbarin einen Privatdetektiv anheuerte, warum dann nicht auch sie?
Meine Maxime ist es, nach Kräften das Gute zu fördern, deswegen riet ich den Ehepartnern immer, sich die Sache noch einmal gründlich zu überlegen, denn so stark ihr Verdacht, dass sie hintergangen wurden, auch sei, den endgültigen Beweis dafür zu bekommen konnte vernichtend sein. Aber sie wollten es unbedingt wissen – und plötzlich hatten sie das Video in der Hand, das ihren Mann bei einem Rendezvous mit einer anderen Frau zeigte.
Aber ich war nur der Bote. Es war nicht meine Aufgabe, meinen Klientinnen die Hand zu halten und sie an meiner Schulter weinen zu lassen, weil sie erkennen mussten, dass sich ihr bequemes Leben in Wohlgefallen auflöste und sie für eine jüngere Frau Platz machen mussten. Manchmal klammerten sie sich an mich und flehten mich um Rat an. Und ich muss sagen, was immer man von mir halten mag (damit meine ich besonders meine Schwester Rachel, die einmal gemutmaßt hatte, dass bei mir eine Schraube locker sei), es macht mir keinen Spaß, schlechte Nachrichten zu überbringen. Aber ich musste professionell bleiben. Sprechen Sie mit Ihren Freundinnen, riet ich den Frauen. Sprechen Sie mit Ihrer Mutter. Sprechen Sie mit Ihrer Therapeutin. Sie könnten sogar, sagte ich, mit der Telefonseelsorge sprechen. Aber mit mir zu sprechen hat wirklich keinen Sinn, weil Mitgefühl nicht zu meinem Dienstleistungsspektrum gehört. Also, es ist ja nicht so, dass ich kein Mitgefühl hatte, aber wenn man es erst mal für eine empfand, dann musste man es auch für die anderen aufbringen, und dann ging man irgendwann einfach unter in all der Traurigkeit.
Als dann der wirtschaftliche Einbruch kam, gehörten meine Dienste neben den Luxushandtaschen zu den ersten Posten, die gestrichen wurden. Wenn Ehemänner sich heute anderweitig vergnügen, wollen die Frauen es gar nicht wissen, denn während es mit ihnen finanziell auf und ab geht (hauptsächlich ab) wie auf einer Achterbahn, liegt ihre einzige Rettung darin, ihre Männer festzuhalten. Es kann sich sowieso niemand mehr eine Trennung leisten, weil die Häuser über Nacht ihren Wert verloren haben. Plötzlich geht es vor allem darum zusammenzubleiben.
Und meine andere nützliche Verdienstquelle, nämlich für Firmen die Angaben potenzieller neuer Mitarbeiter zu überprüfen, brach in der Krise ebenfalls weg, weil niemand mehr neue Leute einstellte.
Eine Zeit lang wurde der Einbruch in meiner Auftragslage durch vermehrte Aufträge von Versicherungsgesellschaften ausgeglichen,
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