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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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Priester ›Missus‹ genannt hat. Das war mein Priester, er hat in meinem Haus einen Besuch gemacht. Wenn sich jemand über ihn lustig machen darf, dann ich.«
    Auch Claire mochte Bronagh nicht. Aber Kate fand sie spitzenmäßig. »Bronagh fürchtet sich vor nichts.«
    »Ich mich auch nicht«, sagte ich.
    Kate sah mich aufmerksam durch eine Wolke Zigaretten rauch (damals war sie dreizehn) aus kajalumränderten Augen an und sagte: »Ja, schon … aber du bist … an dir ist etwas, also sagen wir, da ist eine Schwäche.«
    »Eine Schwäche!«
    »Weichheit, meinetwegen. Aber Bronagh? Die ist hart wie Stahl, durch und durch.«
    Ich fühlte mich sehr gekränkt und verlieh dem auch Ausdruck.
    »Siehst du?«, sagte Kate sanft wie eine Schlange, tupfte mit dem Finger einen Krümel Tabak aus dem Mundwinkel und betrachtete ihn, bevor sie ihn wegschnipste. »Dir ist es wichtig, was ich denke. Bronagh wäre das scheißegal.«
    Gefangen. Fluchtweg abgeschnitten.
    Innerhalb von zwanzig Minuten war ich wieder in Mercy Close, parkte vor Waynes Haus und guckte mir die zwölf Häuser in der Sackgasse an. Wo sollte ich anfangen? Am offensichtlichsten waren die beiden Häuser rechts und links von Waynes – die Leute dort hätten am ehesten etwas gehört oder bemerkt –, aber oftmals funktionierte es so nicht. Ich brauchte jemanden, der den ganzen Tag zu Hause und überdies sehr neugierig war.
    Eigentlich brauchte ich jemanden, der alt war, so wie die Leute früher alt waren. Aber vergiss es.
    Modernes aktives Altern – so etwas Bescheuertes! Wie schön war es doch in den guten alten Zeiten, als die Menschen ab ihrem sechzigsten Geburtstag mit Rheuma und Arthrose zu Hause hockten und erst um sechs den Fernseher anstellten. Ihnen blieb gar nichts anderes übrig, als den ganzen Tag am Fenster zu sitzen, in einem scheußlichen braunen Sessel, die Nase in den Netzgardinen, von wo aus sie alles mit überraschend scharfem Blick beobachteten und sich erstaunlicherweise trotz ihres hohen Alters noch die kleinsten Einzelheiten merkten.
    Aber heutzutage? Nichts dergleichen. Heute gibt es Abenteuerreisen und Aquarellmalen und Aerobic für Senioren. Tai Chi im Gemeindezentrum, Oprah am Nachmittag, dazu Plankton-Tabletten, um die Gelenke beweglich zu halten. Anti-Aging-Nahrungsmittelergänzung, Super-Haftcreme für Zahnersatz, diskrete Inkontinenzeinlagen – sie haben so viel Freiheit!
    Früher waren ältere Menschen eine reiche Quelle für jeden, der Informationen suchte. Und sie waren hocherfreut, wenn sie jemanden – einfach irgendjemanden – hatten, der mit ihnen sprach.
    Ich war völlig entmutigt und wollte schon aufgeben. Aber dann dachte ich wieder an Wayne. Seinetwegen musste ich weitermachen.
    Bei Nummer drei – dem Haus direkt neben Waynes – machte keiner auf. Wer immer sie waren, vielleicht hatten sie einen Job. Ich würde es später wieder versuchen. Weder im Haus daneben noch in dem nächsten traf ich jemanden an. Ich ging auf die andere Straßenseite, versuchte es nach dem Zufallsprinzip mit Nummer zehn, und die Tür wurde von einem Musterexemplar aktiven Alterns aufgemacht. Eine Frau, rüstig, fit, forsch, mit schwingendem silberblondem Pagenkopf. Sie trug eine figurbetonte graue Hose und eine Art Tunika mit offenem Kragen. Um den Mund hatte sie Fältchen, aber ihre Augen leuchteten in hellem Blau. Vielleicht war sie sechzig. Oder dreiundneunzig. Schwer zu sagen bei dem vielen Lebertran, den Menschen wie sie sich einverleibten.
    Ich reichte ihr meine Visitenkarte. »Ich wollte Sie bitten, mir ein paar Fragen zu beantworten.« Das war heikel – wie konnte ich Fragen über Wayne stellen, ohne zu sagen, dass er verschwunden war?
    »Ich wollte gerade los«, sagte sie.
    »Yoga für Senioren?«
    Nach einem langen, prüfenden Blick auf mich sagte sie: »Ich hole meine Enkelin vom Kindergarten ab.«
    Ach ja? Sah eher nach einer Verabredung mit dem Gärtner aus. K-Y-Gleitcreme – stand ganz oben auf der Liste für ungehemmte Rentnerfreuden.
    »Außerdem«, sagte sie. »Ich bin erst sechsundsechzig.«
    Über ihre Schulter hinweg sah ich eine zusammengefaltete Zeitung auf dem Sofa. Das Sudoku hatte sie gelöst. Offenbar war es ihr ein Anliegen, ihr altes Hirn in Bewegung zu halten.
    »Sie sehen kaum wie fünfzig aus.« Ich musste mich mit Antworten, die unter die Gürtellinie trafen, zurückhalten. Ich hatte nichts davon, wenn ich potenzielle Zeugen verprellte. »Es tut mir leid, dass ich das mit dem Yoga gesagt habe. Es war nicht so

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