Glücksfall
der See. Jenseits des Grundstückzauns war noch mehr Grün. Ein entlegenes Haus in einem entlegenen Teil einer entlegenen Grafschaft. Da musste Wayne sich verstecken, oder? Wayne und Gloria? Oder?
Mir wurde alles klar: Wayne hatte den Verzicht auf Kohlehydrate und die Peinlichkeit, die alten Laddz-Songs singen zu müssen, nicht ausgehalten und wollte sich für ein paar Tage verdrücken. Also schickte er Docker, seinem alten Freund, eine Mail, und der sagte, ich schulde dir bis in alle Ewigkeit etwas für den Refrain von »Windmill Girl«, natürlich kannst du in meinem Haus im entlegenen Seenland Leitrim unterkommen und deine reizende Gloria mitnehmen.
Sie entschieden sich für Glorias Auto, weil – also, einfach so. Vielleicht hatte Wayne einen Tatterich vom Zu ckerentzug und traute sich mit zitternden Händen nicht ans Steuer. Dann war etwas passiert, was den Plan umstieß – vielleicht hatte Gloria einen Platten. Genau! Gloria hatte einen Platten. Sie befürchteten schon, sie könnten nicht fahren, aber dann hatte sie den Reifen gewechselt und Wayne angerufen und gesagt: »Ich habe gute Nachrichten!« Und dann sind sie losgefahren.
Sie waren bestimmt da. Ich musste nur ins Auto steigen und hinfahren. Ich würde auf der Stelle losfahren!
Aber Augenblick … waren sie wirklich da? Lohnte es sich, den ganzen Weg nach Leitrim zu fahren, bloß aufgrund einer Vermutung? Doch, dachte ich. Meine Intuition sagte mir, dass Wayne in Dockers Haus war.
Aber … es bestand ein Unterschied zwischen Intuition und … und … wie sollte man es nennen? Wahnsinn, wahr scheinlich. Diese beiden sollte man auf keinen Fall verwech seln.
Vielleicht wollte ich nichts lieber als eins von Dockers Häusern von innen sehen?
Ich biss mir auf die Fingerknöchel und traf eine sehr schwere Entscheidung: Ich würde warten. Nur ein, zwei Stun den. Das war auch vernünftig. Es war Freitagnachmittag, auf den Straßen aus Dublin hinaus staute sich der Verkehr.
Und in dieser Zeit würde ich das tun, was ich schon vor Stunden hätte tun sollen. Ich war schon fast zurück in Mercy Close – ich würde zu Waynes Nachbarn gehen.
Schon jetzt ärgerte ich mich über ihre Nutzlosigkeit.
25
D er Verkehr war gar nicht so schlimm, obwohl es Freitagabend war. Mein Handy klingelte, es war Claire, und ich stellte sie auf Lautsprecher.
»Was gibt’s?«, fragte ich.
»Diese Kate«, seufzte sie. »Sie ist ein Monster, wirklich. Ich weiß, das sollte man nicht über das eigene Kind sagen, aber ich hasse sie.«
»Was hat sie denn diesmal gemacht?«
»Sie hat mir ins Bein gebissen.«
»Wirklich? Warum?«
»Einfach nur so. Sie ist ein Scheusal. Sie ist noch schlimmer als du damals.«
»Geht das überhaupt?«, fragte ich voller Mitgefühl.
»So schlimm wie Bronagh! Genauso schlimm. Klar, dass sie sich gemocht haben. Ach, verdammt!« Im Hintergrund hörte ich Sirenen und undefinierbaren Lärm.
»Was ist da los?«
»Ich bin über eine rote Ampel gefahren – ist doch kein Wunder. Ich habe es verdammt eilig! Und jetzt sind die Scheißbullen hinter mir her, in ihren Scheißstreifenwagen!«
»Halt mal lieber an.«
»Kommt gar nicht infrage! Ich habe es verdammt EILIG . Scheiß drauf, sie können nicht über mich bestimmen.«
»Claire, halt an.«
»Ach, Scheiße, meinetwegen.« Sie unterbrach die Verbindung, und ich fing an, über Bronagh nachzudenken.
Leute, die sie gerade erst kennenlernten, wussten offensichtlich nichts mit ihr anzufangen, denn sie gab sich keine Mühe, attraktiv zu wirken. Zum Beispiel hatte sie ziemlich kurze Beine, aber während andere Frauen mit kurzen Beinen ihr Leben lang diese Tatsache zu kaschieren versuchten, indem sie auf zehn Zentimeter hohen Absätzen durch die Gegend stolzierten, trug Bronagh flache Schuhe, wie zum Trotz. Sie tat überhaupt die meisten Dinge aus Trotz.
Es gab jede Menge Leute, die sich regelrecht vor ihr fürch teten, aber ebenso viele – mehr sogar –, die ihr unbedingt gefallen und sich vor ihr beweisen wollten. Menschen, von denen man das nie erwartet hätte – zum Beispiel Margaret –, bewunderten sie. In Bronaghs Nähe wurde Margaret ausgelassen und mädchenhaft. »Sie ist so lustig .«
Aber Mum wollte nichts mit ihr zu tun haben. »Ich kenne dich dein Leben lang«, sagte sie zu mir. »Bronaghs Spiel durchschaue ich. Leute schockieren und gegen alle Regeln verstoßen. Und wie die Leute sich amüsiert haben und ihre Gesichter wie das Empire State Building strahlten, bloß weil sie den
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