Glückskekssommer: Roman (German Edition)
plötzlich ganz offen mit mir spricht. Denn jetzt verstehe ich sie endlich. Es ist gar nicht der Neid, der sie quält.
Lila hat Angst mich zu verlieren.
Warum habe ich das nicht viel eher kapiert?
»Ach Lila!«
Jetzt weiß ich, was ich zu tun habe. Diese Angst kann ich ihr nehmen – ein für alle Mal. Sie ist meine Zwillingsschwester . Näher als wir uns sind, können sich zwei Menschen gar nicht sein. Es wird Zeit, dass sie das auch weiß. Es wird sie trösten und beruhigen und zwischen uns wird alles wieder so schön, wie es früher war.
»Ich muss dir was sagen«, beginne ich vorsichtig.
»Mach es kurz«, sagt Lila. Ich glaube in ihren Augen ein paar Tränen schimmern zu sehen.
»Du willst nichts mehr mit mir zu tun haben, stimmt’s?«
»Lila, du bist meine Schwester. Ich weiß es selbst erst seit heute. Wir beide sind Zwillinge und meine Eltern sind in Wirklichkeit unserer beider Eltern. Das heißt, dass wir zusammengehören, ganz egal, was geschieht. Ich werde immer für dich da sein.«
Ich habe ohne Punkt und Komma gesprochen, ohne Luft zu holen. Das, was ich hier sage, kommt mir selbst ganz und gar unglaublich vor. Aber es ist doch wahr.
Lila hört mir mit offenem Mund zu. Dann schnappt sie nach Luft und beginnt zu lachen. »Rosa, was hast du denn eingenommen? Komm, lass uns ernsthaft überlegen, wie es mit uns weitergeht!«
»Hör mir zu«, sage ich so ruhig und bestimmt, wie ich kann. »Das ist mein voller Ernst und außer zwei Gläsern Wein habe ich nichts getrunken.«
Lila hört auf zu lachen. »Du behauptest, dass meine Eltern nicht meine Eltern sind«, sagt sie und starrt mich entsetzt an. »Sag mal, spinnst du jetzt total?«
Ich könnte mich selbst ohrfeigen, dass ich es nicht ein wenig sensibler angefangen habe. »In Omas Keller sind die Beweise«, sage ich nicht eben geschickter.
»Hör auf«, schreit Lila. Ihre Stimme klingt ganz wacklig. »Wie gemein bist du denn?«
»Lila, es ist wahr. Wir können Oma fragen.«
Sie glaubt mir nicht! Es ist so ein verdammter großer Mist.
»Ich verstehe, dass du sauer auf mich bist«, sagt sie jetzt aufgebracht. »Ich war gemein zu dir und jetzt willst du dich rächen. Okay! Tu, was du nicht lassen kannst, aber lass meine Eltern aus dem Spiel. Die haben dir doch gar nichts getan.«
Sie springt aus der Schaukel und starrt mich böse an. Ich will sie am Handgelenk packen, aber sie reißt sich los. Fast sieht es so aus, als wollte sie mir ins Gesicht schlagen. Ich ducke mich entsetzt.
»Ich bin fertig mit dir, Rosa!« Über ihr Gesicht laufen Tränen.
»Lila, warte!«, rufe ich kläglich hinter ihr her und kraxele mühsam aus der Schaukel.
Warum will sie mich denn nicht verstehen? Ich sage doch die Wahrheit. Und zur Wahrheit gibt es keine Alternative. Was hätte ich also tun sollen?
»Hau ab«, schreit sie und stürzt sich schluchzend in die Arme ihrer Eltern.
Zwei Sekunden später ist meine Mutter bei mir. »Du entschuldigst dich jetzt bei Lila!«, sagt sie in einem Ton, als wäre ich fünf und hätte Lila mal wieder einen Baustein über den Kopf gezogen.
Sie hätte wenigstens fragen können, was überhaupt los ist.
Ich soll mich entschuldigen? Haha! Wer ist denn schuld an der ganzen Misere? Ich fühle mich so verletzt und gedemütigt wie ein Kleinkind, das Ärger bekommt, obwohl es nichts getan hat.
»Mir reicht es mit euch«, schreie ich meine Familie an.
Alle starren mich entgeistert an. Sie haben gerade eine Flasche Wein geöffnet und wollten noch einen gemütlichen ›Absacker‹ trinken, bevor sie ins Bett gehen. Alle anderen Gäste sind schon weg. Nun bin ich also doch explodiert und mein Pulver ist noch nicht ganz verschossen.
»Setz dich her«, sagt mein Vater und klopft auf den Platz neben sich. »Erzähl uns mal, was los ist.«
»Mache ich nicht! Ihr wollt nur, dass ich mich entschuldige. Das werde ich nicht tun, weil es nichts zu entschuldigen gibt – jedenfalls nicht von meiner Seite«, schreie ich. »Und solange ihr das nicht kapiert, will ich nichts mehr mit euch zu tun haben. Ihr gemeinen Lügner!«
Wütend, verzweifelt und jammernd humpele ich aus dem Garten. Niemand versucht mich aufzuhalten. Sie sitzen da wie gelähmt.
So, das war es dann mit meiner Familie. Sie hassen mich jetzt. Na und?
Wenigstens der Glückskeks kann sich freuen. Ich habe mit meiner Rüge brav gewartet, bis ich mit meinen Leuten allein war.
Heulend stapfe ich die lange Straße zum S-Bahnhof entlang. Jetzt geht es mir so, wie scheinbar den
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