Glückskekssommer: Roman (German Edition)
meisten Menschen. Ich habe eine total zerrüttete Familie.
Ich fühle mich furchtbar einsam und verlassen. Aber besser keine Familie als ein Haufen irrer Kinderhändler mit Kuh-Hupe im Auto. Ein Glück, dass ich sie los bin!
Glückskeks 14
Das Glück ist auf der Seite derer, die ein gesundes Urteilsvermögen besitzen.
»Hier sind wir«, ruft Vicki fröhlich und winkt.
Es ist mal wieder Samstagabend. Ich checke unauffällig mein Handy. Kein Anruf von meiner Familie.
Ich seufze entmutigt. Wir Redlichs sind nämlich die geborenen Problemeaussitzer. Keiner von uns streitet sich gern. Abwarten und Tee trinken. Das ist unsere Devise. Man soll es nicht glauben, aber das funktioniert ziemlich oft. Aber dieses Mal habe ich meine Zweifel. Seit einer Woche warten meine Eltern darauf, dass unser Problem sich in Luft auflöst. So viel Tee haben sie bestimmt lange nicht getrunken. Was sie vergessen: Ich bin auch eine Redlich und kann auch warten. Wenn nicht einer von uns demnächst den ersten Schritt macht, dann kann unsere Krise noch Jahre dauern.
Zum Glück gibt es auch Erfreuliches. Vicki und Daniel haben Karten für ein Klassikkonzert im Britzer Garten besorgt und jede Menge Leute eingeladen. Ich habe mit den beiden Picknickkörbe und Getränke hergeschleppt und freue mich nun auf gute Musik und ein Feuerwerk am späten Abend. Basti muss noch arbeiten und kommt nach.
Auf der großen Festwiese versammeln sich wahre Menschenmassen. Aber Vicki hat in dem ganzen Gewirr trotzdem Karl, Angelika und ihre Familie ausgemacht. Sie kommen über den Rasen auf uns zu. Karl sitzt in einem Rollstuhl. Er ist seit ein paar Tagen zu Hause. Ich sehe, dass ihm das guttut, auch wenn er immer schmaler wird.
Gestern habe ich ihn in meiner Mittagspause besucht. Wir saßen eine Stunde auf seinem Balkon, jeder eine seiner schnurrenden Katzen auf dem Schoß.
»Heute Morgen war deine Großmutter hier«, sagte Karl.
Es klang nebensächlich und so war es sicher auch gemeint. Aber mir liefen ansatzlos die Tränen aus den Augen. Die ganze Woche war ich tapfer gewesen. Margret, Vicki, Leo … Alle hatten mich immer wieder auf die Party angesprochen, was für ein wunderbares Fest es doch gewesen sei, wie erstklassig meine Familie zu feiern verstünde …
Ich hatte schon einen Kieferkrampf vom falschen Grinsen. Denn für mich bedeutete dieses Fest nur eines – die ganz große Katastrophe. Meine Familie hätte stärker werden können an diesem Abend. Ich hätte eine Schwester gewinnen können. Aber am Ende hatte ich alles verloren. War das nun meine Schuld? Weil ich diesen doofen Briefumschlag geöffnet hatte? Ist ein Geheimnis weniger schlimm, wenn man es gar nicht kennt? Viele Fragen, keine Antwort. Meine Familie war wahrscheinlich furchtbar böse auf mich. Sie wollten mich sicher niemals wiedersehen. Na und? Ich sie auch nicht!
Die Entdeckung des alten Familiengeheimnisses hatte mich ziemlich aus der Bahn geworfen. Ich konnte beinahe an nichts anderes mehr denken und versuchte doch mit aller Gewalt, es nicht zu tun. Basti, der als Einziger wusste, was ich an diesem Abend herausgefunden hatte, versuchte mehrmals mit mir darüber zu reden. Aber ich blockte ab. Stattdessen suchte ich Zerstreuung, wo immer es möglich war. Vicki amüsierte sich.
»Seit du mit Basti zusammen bist, ist eine wilde Hummel aus dir geworden«, sagte sie lachend, als ich es mal wieder nicht zu Hause aushielt und sie unbedingt zum Ausgehen überreden wollte.
Statt ihr die Wahrheit zu sagen, setzte ich wieder mein künstliches Grinsen auf. Ich konnte nicht darüber reden. Es war mir zu peinlich. »Los, lass uns was trinken gehen!«
Nach dem Trinken wollte ich ins Kino, danach zum Tanzen und schließlich wieder in die Werkstatt – ohne Schlafpause. Nun saß ich also auf Karls Balkon in der Sonne – übermüdet und fix und fertig.
»Was ist los mit dir?«, fragte er mitfühlend.
Nichts, gar nichts, nur dass meine Familie für mich gestorben war. Ich wartete seit einer Woche darauf, dass mir diese Tatsache gleichgültig wurde. Oder, dass jemand aus meiner Familie anrufen und mir alles erklären würde. Aber das geschah nicht – weder das eine noch das andere. Wie um Himmels willen hatte Karls Tochter dieses schreckliche Gefühl 20 Jahre durchgehalten? Ich sollte sie vielleicht um Rat fragen.
Vorerst jedoch schüttete ich Karl mein Herz aus. Er hörte still und aufmerksam zu.
»Dürfen Eltern ihre Kinder weggeben?«, fragte ich zögernd.
»Das dürfen
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