Glückskekssommer: Roman (German Edition)
sie«, antwortete er. »Es gibt manchmal sogar verständliche Gründe dafür.«
»Ich kenne die Gründe nicht«, sagte ich ratlos. »Aber ich vermute, mein Onkel und meine Tante konnten keine eigenen Kinder bekommen. Du musst wissen, die vier sind unzertrennlich. Sie haben zusammen ein Haus gebaut, verreisen miteinander – teilen ihr ganzes Leben. Sogar ihre Hunde sind Zwillinge.«
»Na ja, das ist in der Tat verrückt. Aber Menschen machen verrückte Sachen.«
»Sie hätten es uns doch irgendwann sagen müssen, findest du nicht?«
Er lächelte. »Mit der Ehrlichkeit ist es manchmal so eine Sache, oder?«
Ich seufzte, denn ich hatte Karl durchschaut. Er wollte mir keinen Rat geben, mir keinen Weg aus dem Dschungel meiner Gefühle zeigen. Den sollte ich ganz allein finden.
»Und dann ist da noch die Sache mit dem passenden Zeitpunkt …«, ergänzte er.
Ich fing an meine Eltern zu verstehen. Für manche Offenbarungen gibt es ihn nicht, den richtigen Moment. Ich fühlte mich ein wenig getröstet.
Außerdem hatte ich eine zuverlässige »Gefühlsdschungel-Landkarte« in meiner Handtasche.
Das Glück ist auf der Seite derer, die ein gesundes Urteilsvermögen besitzen.
Endlich! Zum ersten Mal tat ein Glückskeks mir gegenüber mal das, was er sollte – nämlich Glück verheißen. Ich fühlte mich zwar noch nicht wirklich besser, aber ich war wild entschlossen, das Glück festzuhalten, wenn es mir denn über den Weg laufen würde. Vielleicht waren ja Oma und Lila und unsere Eltern schon unterwegs, um sich tränenreich bei mir zu entschuldigen? Vielleicht sollte ich auch losgehen?
Nein, wir müssten uns in der Mitte treffen. Aber wer soll den ersten Schritt machen?
Viel zu kompliziert das alles.
Die Ankunft weiterer Leute lenkt mich von meinen Grübeleien ab. Einige kenne ich nicht. Es sind Freunde von Daniel, ausnahmslos sehr nett. Mit allen kann man wunderbar plaudern. Leider kommt Margret nicht. Vicki hat sie eingeladen, aber ihr ist nicht nach einem fröhlichen Zusammensein. Existenzsorgen plagen sie.
Der Hausbesitzer hat die Miete für ihre Werkstatt erhöht, ziemlich drastisch sogar. Ausgerechnet jetzt, wo es anfing, besser zu laufen und Margret mich und Jola eingestellt hat, um sich ein wenig zu entlasten. Es ist gemein!
»Irgendein Wunder muss geschehen, Rosi. Sonst können wir zumachen.«
Erschrocken hatte ich ihr zugehört. Aber eine Lösung fiel mir auch nicht ein. Im Gegenteil! Ich bekam langsam aber sicher das Gefühl, dass Probleme wie ein Sieb sind: Stopfst du ein Loch zu, dann läuft es eben aus dem nächsten.
Anne, Vickis Agentin, kommt über den Rasen auf uns zu. Mit ihren langen Beinen, den dunklen, glänzenden Haaren und dem auffälligen Make-up sieht sie aus wie ein Modell auf dem Weg zum Fotoshooting. Alle Leute starren sie an. Bestimmt auch, weil sie so schick gekleidet ist. Ich habe ein Déjà-vu.
Dieses herrlich leuchtende Rot!
Sie beugt sich zu mir herunter, gibt mir Küsschen rechts und links und grinst so breit, dass die Ohren Besuch bekommen.
»Naaa, Rosa?«
»Du hast … Das hab ich genäht … äh… Wieso?«, stottere ich mit blödem Gesichtsausdruck.
Ich habe gerade das rote Seidenteil, das ich nach meinem Chinesen-Traum genäht habe, an ihr erkannt. Moment mal! Ich habe die Bluse doch mitsamt meiner Zeichnungen in den Mülleimer geworfen! Als ich mich zu Vicki umdrehe, ist mir alles klar. Die lächelt nämlich genauso lausbubenhaft wie Anne.
»Du bist doch nicht sauer, Rosa, oder?«, fragt sie. »Ich dachte, du bist verrückt geworden, als ich das herrliche Teil im Müll gefunden habe. Und dann musste ich gleich an Anne denken, die mich seit dem Chiliabend laufend gefragt hat, wann sie mal ein Kleidungsstück aus deiner Werkstatt kaufen kann.«
»Das ist meine Lieblingsbluse«, bestätigt Anne. »Ich werde laufend darauf angesprochen. Mal ehrlich, du bist genial, Rosa. Mit deinen Klamotten solltest du dich selbstständig machen!«
»Ich hätte sie gern in schwarz«, sagt Vicki. »Rot steht mir nicht, leider, sonst hätte ich sie behalten.«
»Komm schon«, lacht Anne. »Du kriegst ja wohl ein Hochzeitskleid von ihr.«
Ich schaue benebelt von Vicki zu Anne und von Anne zu Vicki.
»Du musst mir noch den Preis nennen«, sagt Anne jetzt. »Vicki hat sie zwar geklaut, aber ich bin eine ehrliche Haut. Sind 200 okay?«
»Zwei…hu…hundert… Euro?«, stottere ich.
In der Tat habe ich mir noch nie Gedanken gemacht, was meine Arbeit kosten
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