Glückskekssommer: Roman (German Edition)
freudig heran.
»Rosa! Victoria! Kommt her, ich möchte euch meine Tochter Angelika vorstellen.«
Er sieht so glücklich aus. Ich kämpfe mit den Tränen, und ich stehe da wie festgeklebt.
Vicki stupst mich an. »Nun mach schon!«
Langsam gehe ich auf Karls Tochter zu. Sie schaut mich an. Ich erwidere ihren Blick und kann vor Aufregung kaum atmen. Mein Puls beschleunigt sich, als würde ich sprinten. Da hält Angelika mir die Hand hin.
»Guten Tag, Rosa«, sagt sie schlicht. »Ich habe viel von Ihnen gehört. Schön, Sie kennenzulernen.«
Ich starre. Atme wieder. Lächle. Und dann danke ich meinem Glückskeks.
Ihre Argumente zünden jetzt und bescheren Erfolg.
Endlich, endlich, endlich hat sich einmal alles zum Guten gewendet!
Glückskeks 11
Eine endlose Diskussion beweist, dass beide Seiten unrecht haben.
Heute ist es so weit. Ich werde endlich Sebastian wiedersehen.
Vorher wartet wie immer ein Berg Arbeit auf mich. Jola erscheint, fast zeitgleich mit mir und Margret, zu ihrem ersten Arbeitstag bei uns. Wir haben uns gestern eine hübsche Essecke am Fenster eingerichtet – mit Korbstühlen und einem kleinen Bistrotisch, den Jens und Oskar im ›Schraders‹ entbehren konnten. Da sitzen wir jetzt, plaudern, trinken Kaffee und essen belegte Brötchen und Obst, bevor wir uns an die Arbeit machen.
Jola hat mir erzählt, dass Eva Andrees, nach anfänglicher Euphorie, jetzt keine Sachen mehr bei Helena Senner nähen lässt. Eine gewisse Genugtuung kann ich nicht unterdrücken. Ich bin schließlich keine Heilige. Ein bisschen Häme reinigt die Seele. Und außerdem wird meine alte Chefin deswegen ja nicht gleich an den Bettelstab kommen. Trotz allem ist sie eine sehr gute Schneiderin.
Am Nachmittag verlassen Jola und Margret die Werkstatt vor mir. Ich will noch aufräumen und dann nach Hause fahren, um mich für Basti ein bisschen hübsch zu machen. Wir haben uns ganz in der Nähe von Vickis Zuhause, am Victoria-Luise-Platz, in einem edlen Weinrestaurant verabredet.
Als ich die Faden- und Stoffreste zusammenkehre, klingelt die Türglocke.
»Ach, hier arbeitest du also«, redet jemand schon drauf los, noch bevor ich mich umdrehen kann,
um Hallo zu sagen. Die Stimme jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken. »So übel ist es doch gar nicht.«
In der Tür steht Lila. Sie hat sich die Haare ein Stück abgeschnitten und sieht, ohne ihre geflochtenen Zöpfe, noch ein bisschen mehr aus wie ich.
Ich starre sie an wie eine Erscheinung. Wir beide tragen Jeans und weiße Tops. Wäre unsere letzte Begegnung nicht so überaus furchtbar gewesen, würde ich jetzt über diesen Zufall lachen und ihr glücklich um den Hals fallen. Stattdessen tut mein Herz weh. Ich kann gar nichts sagen. Wir stehen einander gegenüber und schauen uns an.
»Willst du mir nicht wenigstens Guten Tag sagen?«, ruft Lila. Als hätte jemand den Wasserhahn aufgedreht, tropfen Tränen aus ihren Augen. Lila
weint.
Lila weint?
Das kommt bei ihr ungefähr so oft vor wie ein Monsunregen in der Wüste. In 27 gemeinsamen Jahren habe ich sie ganze dreimal Tränen vergießen sehen. Einmal, als unser Opa starb. Das war schlimm, denn wir haben ihn alle sehr geliebt. Sie weinte auch, als Micha sie verlassen hatte, und sie endlich begriff, dass er nie zu ihr zurückkehren würde. Und einmal, da heulte sie Rotz und Wasser, als wir noch klein waren, und ich zum Kinderfasching ein schöneres und teureres Prinzessinnenkleid bekam als sie.
Etwas Schlimmes muss also passiert sein.
»Ist was mit Oma?« Ich lasse meinen Besen fallen und eile zu ihr.
»Nein«, schluchzt sie. »Wie kommst du denn da drauf?«
»Schon gut«, seufze ich erleichtert. Jetzt kann nichts wirklich Arges mehr kommen.
»Es … Es ist wegen Rob«, sagt sie und putzt sich die Nase.
Sag ich doch – nichts Dramatisches. »Was ist mit ihm?« Die Frage kommt automatisch aus mir heraus. Eigentlich will ich gar nicht wissen, was los ist.
Erwartet Lila ernsthaft von mir, dass ich sie seinetwegen tröste?
Ich stehe jetzt ganz dicht vor ihr, kann ihr Parfüm riechen und die Tränen sehen, die ihre Wimperntusche zum Verlaufen bringen. Sie sieht ganz verloren aus. Aber in den Arm nehmen kann ich sie nicht. Noch nicht. Obwohl mir ihr Weinen mehr ans Herz geht, als mir lieb ist.
»Er hat mich verlassen«, heult Lila.
Ach nee?
Ich weiß, es ehrt mich nicht. Aber bereits zum zweiten Mal an diesem Tag finde ich, dass es manchmal doch so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit gibt.
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