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Glückskekssommer: Roman (German Edition)

Glückskekssommer: Roman (German Edition)

Titel: Glückskekssommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Hohlfeld
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ihrer Großmutter zu vermachen. Er nimmt zufrieden unsere Bestellung auf und geht wieder an die Arbeit.
    »Was ist los, Jola?«, frage ich.
    Ihr flatternder Blick und ihr Seufzen lassen mich nichts Gutes ahnen.
    Ein paar Minuten später weiß ich alles.
    Jola ist arbeitslos. Sie hat herausgefunden, dass die Senner ihr von allen Näherinnen am wenigsten bezahlt. Und das, obwohl sie am längsten zum Betrieb gehört und die meisten Stunden arbeitet. Nun wird man als Schneiderin sowieso nicht reich. Aber die Senner ging anscheinend davon aus, dass polnische Näherinnen überhaupt kein Geld zum Leben brauchen. Dabei gönnt sich Jola kaum etwas. Sie lebt bescheiden und ernährt von ihrem Lohn fast ihre gesamte Familie, die noch in Polen lebt. Nachdem Jola die Senner mutig auf die Ungerechtigkeit angesprochen hatte, wurde ihr sofort gekündigt. Lila erzählte ihr, wo ich jetzt arbeite. Nun ist sie gekommen, um herauszufinden, ob es hier vielleicht auch Arbeit für sie gibt.
     
    Die gibt es bei uns genug. Aber ich habe keine Ahnung, ob Margret noch eine Schneiderin einstellen würde.
    »Hat Helena mir erzählt, dass du mich nicht kannst leiden«, sagt Jola. »Aber habe ich ihr nicht geglaubt.«
    »Das ist auch überhaupt nicht wahr«, bestätige ich. Ich stehe auf und drücke Jola ganz fest. »Die Senner hat mich doch auch rausgeschmissen. Sie hasst jeden, der besser ist als sie. Und du bist besser.«
    Ich verstehe mal wieder nicht, wie eine erwachsene Frau sich so kindisch benehmen kann. Fast tut mir Lila ein bisschen leid – jeden Tag allein mit Annemarie, Nora und der Senner. Das reinste Schlangennest.
    Aber vielleicht fühlt sich Lila ja wohl unter Schlangen, weil sie selbst eine ist?
    Egal, ob Natter oder nicht. Mir fällt ein, dass ich mein Problem mit Lila lösen muss. Omas Geburtstag rückt näher. Ich darf ihr nicht die Feier verderben.
    Vielleicht sollte ich Lila einfach anrufen.
    Zuerst aber nehme ich Jola mit rüber zu Margret und erzähle ihr die ganze Geschichte. Meine Meisterin schüttelt nur den Kopf und fällt in Windeseile ihre Entscheidung.
    »Sie können gleich anfangen«, beschließt sie. »Arbeit haben wir weiß Gott genug und wenn Sie mir so viel Glück bringen wie die kleine Rosi hier, dann soll mich der Teufel holen, wenn ich Sie nicht einstelle, Jola.«
    Ich kenne Margrets unkonventionelle Art der Mitarbeitereinstellung aus eigener Erfahrung. Aber damit hätte ich trotzdem nicht gerechnet. Vor Freude falle ich ihr um den Hals, was sie mit einem verlegenen »Nun übertreib mal nicht gleich, Rosi« quittiert.
    Endlich wieder die Aussicht auf einen Acht-Stunden-Tag. Jola, die nichts so schnell aus der Fassung bringt, kann ihr Glück kaum fassen. Sie sieht ganz gerührt aus.
    »Danke«, sagt sie.
    Unauffällig bekreuzigt sie sich. Wahrscheinlich wegen der Sache mit dem Teufel. Sie kann ja noch nicht wissen, dass der Gehörnte, wenn er Margret denn holen würde, sie auch ganz schnell zurückbringen würde.
    Jola bleibt gleich da. Den Rest des Tages verbringen wir mit dem Umräumen der Werkstatt. Es wird ein bisschen eng werden. Aber es passt und ist sogar richtig gemütlich.
    Trotzdem – ihre anderen Mitarbeiterinnen kann Frau Senner gern behalten.
     
    *
     
    Am selben Abend will ich noch bei Karl vorbeischauen. Ich kaufe im türkischen Gemüseladen ein Schälchen mit geschnittenem Obst, weil er das so gern isst.
    Vor dem Krankenhaus wartet Vicki, mit der ich anschließend zusammen nach Hause fahren will. Wir umarmen uns und machen uns auf den Weg in Karls Zimmer.
    Die Ärzte haben angedeutet, dass sie ihn bald entlassen können. Er will nach Hause für seine letzten Wochen. Das ist sein größter Wunsch. Wir unterstützen seinen Willen und werden alle abwechselnd rund um die Uhr für ihn da sein. Jens und Oskar sorgen für sein Essen und ein Pflegedienst wird nach ihm sehen. Das haben wir bereits organisiert.
    »Hallo, Karl«, sage ich und öffne die Tür. »Ich habe dir Papaya und Pfirsiche mitgebracht. Die isst …«
    Mitten im Satz unterbreche ich, denn der Kranke ist heute nicht allein. An seinem Bett sitzt jemand – eine blonde Frau mit kurz geschnittenen Haaren und Perlenohrringen. Mir bleibt der Mund offen stehen.
    »Frau Hermann«, hauche ich ungläubig.
    Langsam dreht sie sich um. Oh Gott! Ich hoffe, dass sie jetzt keine Szene macht. In ihren Augen bin ich schließlich eine widerliche Erbschleicherin.
    »Ist das …«, flüstert Vicki hinter mir.
    Ich nicke unmerklich. Karl winkt uns

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