Glückskekssommer: Roman (German Edition)
meinen Nerven am Ende bin. Ihre nächste Frage bestätigt das.
»Gibt es was Neues bei dir?«
Alles geht schief. Aber das ist ja nicht wirklich eine Neuigkeit. Werde ich jemals aus diesem privaten Schlamassel herauskommen? »Alles easy«, sage ich und hebe den Daumen.
»Das glaube ich dir nicht«, antwortet Vicki.
Ah! Anscheinend kriegt sie doch etwas mit. Sie mustert mich kritisch, die Hände in die Hüften gestemmt. Auch das Gen für Verstellungskunst gehört scheinbar nicht zu meiner Grundausstattung. Ich bin eine richtige Sparversion. Zum Glück fragt Vicki nicht weiter nach.
»Ich habe etwas für uns. Das hilft.«
»Caipi?«
»Nein, was Besseres.« Sie geht in den Flur und kommt kurz darauf mit einer blau-gelben Discounter-Plastiktüte zurück. Mir ist alles klar, noch bevor sie auspackt.
»Es ist Asien-Woche, stimmt’s?«
Vicki nickt begeistert und holt insgesamt zehn Päckchen Glückskekse aus dem Beutel. »Ich habe deiner Oma die Einkäufe gefahren«, sagt sie strahlend. »Die hat sie mir mitgegeben. Für uns beide.«
Anscheinend hat sie keine Oma mehr, die ihr etwas zusteckt. Anders ist nicht zu erklären, warum sie sich über die zehn hässlichen Pappkästchen so freut wie ein Schneekönig. Ich verstehe wirklich nicht, was sie neuerdings an den kleinen Pechkeksen toll findet. Vor ein paar Wochen hat sie mich noch dafür ausgelacht. Seit sie und Daniel beschlossen haben zu heiraten, ist sie süchtig nach diesem Zeug.
Ich finde, sie sollte sich lieber auf ihre Hochzeitsvorbereitungen konzentrieren. Wie besprochen nähe ich ihr den Overall für die Verlobungsfeier mit den Eltern. Er wird wirklich wunderschön. Es macht mich glücklich, dass ich endlich einmal wieder ein ganzes Kleidungsstück anfertigen darf. Aber Vicki ist bei den Anproben immer verdächtig still. Es kann nicht an meiner Arbeit liegen. Sie hat selbst gesagt, dass ihr gefällt, was ich da schneidere.
Doch je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr kann ich ihr plötzliches Glückskeksfieber verstehen. Vicki wird bald heiraten. Das ist ein riesengroßer Schritt im Leben. Sie weiß nicht, ob sie das Richtige tut und weil sie unsicher ist, holt sie sich Rat – sehr zweifelhaften allerdings! Alle Menschen machen das. Einige gehen in die Kirche und beten, andere lesen Horoskope oder Kaffeesatz. Wieder andere setzen sich auf einen Pfahl in der Wüste und warten, was passiert. Vicki und ich haben uns auf Glückskekse spezialisiert.
Eigentlich ist Orakeln ein Spiel, weiter nichts und überhaupt nicht weiter dramatisch, wenn man nicht – wie ich – anfängt, dem Ganzen eine übergroße Bedeutung zuzuschreiben. Niemand kann in die Zukunft gucken. Das ist auch gut so. Aber zurücksehen kann man. Und dabei wird so manches klar – so wie heute Nachmittag, als Lila mich besucht hat.
Nun weiß ich endlich, warum Eva Andrees’ Kleid gerissen ist. Vicki hatte von Anfang an richtig vermutet. Lila, meine allerbeste Freundin, hat meine Arbeit aus Neid und Eifersucht zerstört. Kein Keks der Welt (oder was auch immer!) kann bewirken, dass jemand so etwas Fieses tut. Das kriegen wir Menschlein ganz allein hin.
Eigentlich ist egal, was Vicki jetzt in ihrem Glückskeks liest.
Ich bin sicher, sie wird deswegen nicht ihre Hochzeit absagen. Und wenn doch, dann kriegt sie es mit mir zu tun. Ich wage jetzt auch mal einen Blick in die Zukunft. Wäre ich ein Glückskeks, dann könnte Vicki Folgendes in mir lesen: ›Der Schritt, den Sie jetzt gehen, wird Sie sehr, sehr glücklich machen. Jawohl!‹
Schade, dass ich für meine eigene Zukunft nicht halb so klar sehe. Ich brauche doch noch Glückskeksnachhilfe.
Basti scheint auf den Mond geflogen zu sein. Sonst könnte er doch endlich mal anrufen.
»Also gut, genehmigen wir uns einen«, schlage ich vor.
»Keine Angst?«, fragt Vicki und zwinkert mir zu.
»Ich doch nicht.«
Eine endlose Diskussion beweist, dass beide Seiten unrecht haben.
Glückskekse bestimmen die Zukunft nicht. So viel habe ich unterdessen kapiert. Was aber nicht heißt, dass sie nicht gelegentlich mal einen Denkanstoß liefern können.
Dieses Mal geht es um Lila und mich. Einen Moment lang im Taxi hatte ich das Gefühl, sie nie wiedersehen zu wollen. Jetzt weiß ich, dass das gar nicht geht.
Klar haben wir beide unrecht. Lila und ich. Jeder einen Teil.
Habe ich für diese Erkenntnis den Glückskeks gebraucht? Wahrscheinlich nicht. Aber geschadet hat er irgendwie auch nicht. Allerdings wäre mir ein Liebesorakel
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