Glückskind (German Edition)
eine anthrazitfarbene Mittelklasse-Limousine und Herr Tarsi wirkt ein wenig wie ein Chauffeur, weil er vorn allein sitzt. Er steuert den Wagen durch die enge Tiefgarage, bis sie eine Rampe hinauffahren, an deren Ende trübes Tageslicht in Sicht kommt. Hans hat es nicht knapp gefunden, er hat schon weit Schlimmeres erlebt, seit er Felizia hat, aber er sagt nichts. Er genießt das Gefühl, nicht allein unterwegs zu sein, das Gefühl, von Freunden umgeben zu sein, die zu ihm halten. Felizias Herz pocht gegen seine Brust, Wer weiß, wie oft ich sie noch so nah bei mir habe, denkt er und muss schlucken.
Die Fahrt dauert zwanzig Minuten, es geht quer durch die Stadt, sie müssen in den Osten auf die andere Seite des Flusses. Dort gibt es schöne Viertel mit kleinen, alten Häuschen, die einmal Dorf waren, bevor sie Stadt wurden. Hans ist hier seit einer Ewigkeit nicht mehr gewesen, seit er eine Familie hatte. Er kennt sich nicht gut aus, aber er erkennt vieles wieder. In einem der kleinen, alten Häuser befindet sich die Praxis von Herrn Sadeghi, dem Kinderarzt. Es ist himmelblau gestrichen und hat auffallend große Fenster. Das gibt dem Haus ein freundliches, offenes Aussehen.
»Doktor Sadeghi ist ein Philosoph«, sagt Herr Tarsi, als sie an der schlichten Holztür läuten. »Passen Sie auf, was Sie sagen, sonst hält er Ihnen einen Vortrag.« Er lächelt. Die Tür öffnet sich einen Spalt. Eine blonde Frau steckt vorsichtig das Gesicht heraus, sie ist höchstens vierzig Jahre alt. Als sie Herrn Tarsi erkennt, öffnet sie die Tür vollständig.
»Arya! Sie sind da, wie schön. Er wartet schon ganz ungeduldig.«
Der Reihe nach betreten sie das Haus, ein jeder erhält einen Händedruck und ein Lächeln, während Herr Tarsi sie einander vorstellt. Die Frau von Doktor Sadeghi ist groß und schlank und wirkt so elegant auf Hans, dass er schüchtern wird. »Und wo ist die Patientin?«, fragt sie, als alle im Flur versammelt sind und sie die Tür geschlossen hat. Hans öffnet seinen Mantel, und nun sieht sie Felizia, die längst eingeschlafen ist. »Kommen Sie«, sagt sie und geht voran.
Herr Tarsi, der sich hier auskennt, führt Herrn Wenzel ins Wartezimmer. Dort werden die beiden bleiben, bis Felizias Untersuchung beendet ist. Das gesamte Erdgeschoss ist zur Praxis ausgebaut.
»Wir wohnen oben«, erklärt Frau Sadeghi Hans, als sie an einer engen Treppe vorbeikommen. »Das ist praktisch, vor allem wenn wir Bereitschaftsdienst haben.«
»Sind Sie auch Ärztin?«, fragt Hans.
»Ich bin Geriaterin, ich behandle alte Leute.«
»Leute wie mich?«
»Oh nein! Sie sind doch noch nicht alt!« Sie lacht und Hans ist, als hätte man ihm zu Unrecht einen Orden verliehen. So lange fühlt er sich schon alt, und jetzt soll er es plötzlich nicht sein. Sie öffnet eine Tür. Ein großes, helles Zimmer liegt dahinter, in einer Ecke steht eine Fächerpalme, die bis unter die Decke gewachsen ist. Ihre Blätter hängen weit in den Raum hinein und der Topf, in dem sie steht, ist so groß, dass ihn zwei starke Männer nicht würden tragen können. Vor der Palme steht Doktor Ziadine Sadeghi. Er hat glatte, braune Haut, schwarzes Haar mit einem silbergrauen Schimmer, ist um die fünfzig und passt in seiner natürlichen Eleganz sehr gut zu seiner Frau, die jetzt sagt: »Liebling, hier kommt dein Besuch.« Dann wirft sie Hans ein letztes Lächeln zu und schließt die Tür von außen.
Doktor Sadeghi kommt auf Hans zu und schüttelt ihm die Hand. Er sagt: »Gut, dass Sie endlich da sind, ich dachte schon, es sei etwas dazwischengekommen.« Er wirkt nicht nervös, nur schnell und konzentriert. Hans wickelt Felizia aus, die immer noch schläft. »Wir werden warten, bis sie von selbst wach wird, schlage ich vor«, sagt Doktor Sadeghi. Hans ist einverstanden. Sie setzen sich einander gegenüber, Hans mit Felizia im Arm. Herr Sadeghi hat eine Teekanne auf dem Tisch stehen mit zwei türkischen Gläsern.
»Trinken Sie Tee?«
Hans trinkt keinen Tee, aber er sagt Ja.
Sie trinken. Der Tee ist heiß und bitter. Draußen klatscht Regen an die beiden Fenster.
Zwei Fremde, die einander nichts zu sagen haben, denkt Hans. Er sagt: »Ich möchte Ihnen danken, dass Sie Felizia untersuchen, Herr Doktor. Das ist eine große Hilfe für uns.«
Doktor Sadeghi schaut ihn überrascht an. »Sie haben dem Kind einen neuen Namen gegeben?«
Hans sagt: »Als ich sie fand, wusste ich nichts über sie.«
Doktor Sadeghi nickt, er versteht. Er sagt: »Was haben Sie mit
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