Glückskind (German Edition)
überlegt. Er hat Angst vor Behörden, Behörden scheinen immer nur nach einer Schwachstelle zu suchen, die sie ausnutzen können, um etwas nicht zu erlauben oder in ihren Besitz zu bringen. Behörden fühlen sich für Hans an wie Netze, die ausgelegt werden, um alles zu fangen, was ihnen nicht durch die Maschen geht. Aber er hat keine andere Wahl. Er nickt, er sagt: »Ich muss es tun.«
Frau Tarsi ruft: »Dann helfe ich Ihnen! Das ist doch selbstverständlich!« Sie steht auf und kommt kurze Zeit später mit einem Telefon und einem Tablet-Computer zurück. Hans kennt solche Apparate nur aus Schaufenstern, aber Frau Tarsi scheint sehr geübt im Umgang mit ihnen zu sein. Nach kurzer Zeit hat sie eine Telefonnummer herausgefunden. Sie tippt sie ins Telefon ein und wartet. Sie schaut Hans verschmitzt an und sagt: »Mal sehen, ob wir Glück haben.« Hans versteht nicht, aber er hat keine Zeit, nachzufragen, denn plötzlich ruft Frau Tarsi: »Ja, grüß dich, Heike, das ist ja eine Überraschung, dass du noch da arbeitest!« Dann führt sie eine Viertelstunde lang ein Gespräch über Kinder, Kindeskinder und Ehemänner, über Gesundheit und Krankheiten und darüber, dass man sich unbedingt einmal wiedersehen will. Dann sagt sie: »Jetzt habe ich fast vergessen, weshalb ich angerufen habe.« Frau Tarsi lacht und Heike lacht offenbar auch. Dann sagt Frau Tarsi: »Du hast doch von dieser Veronika Kelber gehört, die, die in den Medien Eva M. genannt wird, nicht wahr?« Sie lauscht. Sie sagt: »Na, den weiß ich, weil ein guter Freund von mir«, hier lächelt sie Hans zu, als ob sie sagen will: Dieses Detail ist wahr, »der kennt die Veronika Kelber und er möchte sie besuchen. Da reicht doch ein formloser Antrag, oder?« Sie lauscht. Sie sagt: »Ach so! Wo finde ich dieses Formular?« Sie lauscht. Sie sagt: »Wunderbar! Dann fülle ich das mit ihm aus und sende es direkt an dich, ja?« Sie lauscht. Sie sagt: »Du bist ein Schatz, Heike.« Dann verabschiedet sie sich fünf Minuten lang, indem sie noch einmal auf den ersten Teil des Gesprächs zurückkommt. Als sie auflegt, hat Hans den Eindruck, dass sie eine Freundin angerufen und bloß nebenbei sein Anliegen geklärt hat. Frau Tarsi grinst Hans triumphierend an. Sie sagt: »So, und jetzt füllen wir ein hübsches Formular für den Ermittlungsrichter aus, und morgen, wenn alles gut geht, haben Sie den Sprechschein.«
Er muss Frau Tarsi seinen Personalausweis geben, dann macht sie sich ans Werk, sie geht in ein anderes Zimmer, während Hans im Wohnzimmer bleibt und mit Felizia spielt. Als Frau Tarsi zurückkommt, hält sie ein Formular in der Hand. Sie hat es aus dem Internet heruntergeladen. Es ist ein Besuchsantrag. Name, Vorname, Geburtsdatum der inhaftierten Person müssen angegeben werden.
»Was jetzt?«, fragt Hans. »Sie ist vierundzwanzig Jahre alt. Mehr wissen wir nicht.«
Frau Tarsi überlegt. Nach einer Weile sagt sie: »Vielleicht ist sie auf Facebook. Die jungen Leute sind fast alle dort. Ich kenne das von meiner Tochter. Und viele geben ihren Geburtstag an, damit sie Glückwünsche erhalten.«
Hans kennt sich nicht aus mit Facebook. Die Vorstellung, der ganzen Welt sein Geburtsdatum zu verraten, kommt ihm abwegig vor. Frau Tarsi lächelt ihn an. »Sie sind ja von vorgestern!«, ruft sie. Dann nimmt sie ihren Tablet-Computer. Sie suchen Veronika Kelber im Internet, während Felizia sie beobachtet. Es gibt fünf Veronika Kelbers auf Facebook. Bei dreien gibt es kein Foto und auch sonst keine Angaben. Die vierte Veronika Kelber ist eine Amerikanerin. Die fünfte hat kein Foto, gewährt aber Einblick in ein paar persönliche Daten. Dort stehen auch ein Geburtstag und ein Geburtsort. Der Ort liegt nördlich der Stadt, es ist ein kleines Dorf, höchstens eine halbe Stunde mit dem Auto entfernt.
Hans rechnet nach. »Diese Veronika Kelber ist sechsundzwanzig Jahre alt. Das passt nicht.«
Aber Frau Tarsi sagt: »Wenn die Polizei Namen fälscht, dann fälscht sie vielleicht auch Geburtstage.«
Hans zuckt mit den Schultern. Vielleicht. Sie haben keine andere Wahl. Frau Tarsi schreibt das Geburtsdatum aus dem Internet in das Formular. Hans’ Name, Vorname und Geburtsdatum hat sie schon eingetragen. Doch es gibt ein weiteres Feld, es heißt ›Verwandtschaftsverhältnis‹.
Hans überlegt. Er sagt: »Schreiben Sie: Freund!«
Das Formular ist ausgefüllt. Hans unterschreibt.
»Das war’s!«, ruft Frau Tarsi aus. »Wenn wir Glück haben und Veronika Kelber Sie
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