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Glückskind (German Edition)

Glückskind (German Edition)

Titel: Glückskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Uhly
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hinauswollen, sie wird Freunde haben wollen, und er wird ihr nicht sagen können: Aber erzähl niemandem, wer du wirklich bist, sonst nehmen sie dich mir weg, dann kommst du in ein Waisenhaus oder zu deinen echten Großeltern, willst du das? Nein, das will Hans nicht, dass Felizia ihm sagen muss, dass sie das nicht will. Dass sie auf der Hut sein muss. Er will, dass sie unbeschwert aufwächst, ohne Furcht und in der Wahrheit. Und wie soll das gehen? Er legt Felizia auf eine Decke am Fenster und drückt ihr eine Rassel in die Hand. Während sie ihr Spielzeug beäugt und schüttelt und darauf herumkaut, beobachtet Hans sie. Sein Traum fällt ihm wieder ein. Ob es dieses rote Gebirge wirklich gibt? Und wenn ja, wo? Das lächelnde Gesicht seines Vaters taucht vor seinem inneren Auge auf. Ist das eine Erinnerung? Wenn ja, dann muss sie sehr alt sein, aus einer Zeit, bevor sein Vater aufhörte zu lächeln und nur noch verbissen und ungeduldig war. Er denkt an Hanna und Rolf. Welche Erinnerung sie wohl bewahrt haben? Felizia kaut auf der Rassel herum und beobachtet ihn. Sie sieht ihrer Mutter immer ähnlicher, findet er. Oder ist er immer mehr in der Lage, es zu sehen? Er denkt an Frau Tarsis Worte. Dass Veronika Kelber ihre Tochter geopfert hat. Was gibt es, das so wertvoll ist, dass man sein eigenes Kind dafür opfert?
    Plötzlich weiß Hans, was er tun muss. Aber damit er es tun kann, muss er gleich am nächsten Morgen zu Herrn Wenzel gehen und ihn um Geld bitten. Er lässt sich auf dem Boden neben Felizia nieder und kitzelt sie unter den Armen und sagt: »Was wird wohl gleich geschehen? Das errätst du niemals!« Er nimmt sie mit ins Badezimmer, steckt den Stöpsel in den Abfluss der Wanne und lässt warmes Wasser einlaufen.
    Hans und Felizia baden. Es ist das erste Mal in ihrem Leben, aber das weiß nur sie allein. Sie wird sich später nicht mehr daran erinnern, dass es hier war, in dieser kleinen Wohnung eines Hartz-IV-Empfängers, der ihr fast genauso viel zu verdanken hat wie sie ihm. Sie wird sich nicht mehr an das seltsame Gefühl auf der Haut erinnern, als sie zum ersten Mal in ihrem Leben die Grenze zwischen Luft und Wasser, zwischen trocken und nass spürte. Sie wird nicht mehr wissen, wie sie auf Hans’ ausgestreckten Beinen lag, wie ihre Arme in die warme Flüssigkeit eintauchten, wie Hans einen Waschlappen nahm und ihn über ihrem Bauch auswrang, so dass sie ganz nass wurde. Sie wird nicht mehr wissen, dass sie irgendwann, als die Angst fort war, anfing, vor Freude zu lachen, und gar nicht mehr aufhören konnte, weil sie sich so leicht fühlte in dem vielen Wasser. All das wird sie nicht mehr wissen. Sie wird so oft gebadet haben, dass dieses erste Mal wie unter vielen gleichen Schichten verborgen sein wird. Und doch wird sie vielleicht stets ein wenig von der Freude verspüren, die sie jetzt hat, ein wenig von der Geborgenheit, in der sie lebt, seit sie aus der Dunkelheit einer Mülltonne in das Herbstlicht unterm Fenster gekommen ist, aus der Angst vor dem Tod in das Urelement allen Lebens.
    Solche Gedanken hat Hans, als er sie beobachtet und sich mit ihr freut. Wie so oft, wenn Felizia froh ist, spürt er einen Stich in seinem Herzen, weil er daran denken muss, wie er sie gefunden hat. Allein und dem Tod überlassen.
    Er stellt sich vor, wie sie plötzlich von ihrer Mutter in diese Mülltonne gelegt oder vielleicht sogar geworfen wurde, wie sie zuerst noch fragend nach oben schaut, weil sie darauf wartet, wieder abgeholt zu werden. Wie sie nach und nach begreift und nicht begreifen kann, dass niemand kommt. Wie sie ruft und immer lauter ruft und immer länger ruft, bis sie kaum noch rufen kann.
    Hör auf, Hans!, denkt er und schließt die Augen. Wenn es mich schon so schmerzt, dass ich es kaum ertrage, wie muss es dann für sie sein, denkt er. Er öffnet die Augen wieder und da ist sie, Felizia Irgendwas, plantschend und so lebendig, wie man nur sein kann, und so vergnügt, als wäre das, was ihr zugestoßen ist, nur ein böser Traum gewesen.
    Felizias Haut wird schon schrumpelig an den Fingern, Hans hebt sie hoch und wickelt sie in ein Badetuch ein. Er zieht ihr eine Windel an, einen frischen Body, wirft einen scheuen Seitenblick auf den Wäscheberg, der sich schon wieder neben der Badewanne gebildet hat, und trägt Felizia in die Küche. Er selbst hat sich nur schnell abgetrocknet und seinen Bademantel übergeworfen.
    Während er die Milch für Felizia zubereitet, denkt er darüber nach, dass er ihr

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