Glücksregeln für den Alltag
auf. Dieser Zustand tritt meistens bei der Arbeit auf. Ist Ihnen der Begriff des Flow vertraut?“
„Nein“, antwortete der Dalai Lama. „Können Sie mir erklären, was Sie damit meinen?“
„Nun, kurz gesagt, dieser Begriff steht für eine bestimmte Geistesverfassung, die eintritt, wenn unsere Aufmerksamkeit vollständig auf eine bestimmte Aufgabe oder ein Projekt konzentriert ist, mit dem wir im Augenblick beschäftigt sind. Während man sich im Flow befindet, verliert man das Zeitgefühl. Es ist dann so, als ob die Zeit stehen bliebe; man ist ganz im gegenwärtigen Augenblick und denkt weder über die Vergangenheit noch über die Zukunft nach. Der Betreffende ist so vertieft in seine Tätigkeit, dass er das Gefühl für sein Selbst, für seine Identität verliert - das Gefühl für sein Selbst verschwindet, es kommen keine Gedanken über das ,Ich‘ auf, wie: ,Ich tue das oder ich fühle jenes.’ Zudem hat man das Gefühl, man arbeite ohne Anstrengung, man habe die totale Kontrolle über das, was man gerade tut. Nehmen Sie zum Beispiel einen professionellen Tennisspieler. Er hat viele Jahre lang trainiert und jetzt befindet er sich in einem Match mit einem schwierigen Gegner. Er gerät in einen Zustand, in dem er sich mit all seiner Erfahrung, allen seinen Fähigkeiten der Herausforderung stellt, die von seinem Gegner kommt; damit wird eine Art Gleichgewicht geschaffen. Seine körperlichen Bewegungen und seine hohe Konzentration tragen dazu bei, dass der Zustand des Flow eintritt.
Obwohl der Flow bei jeder Tätigkeit auftreten kann, haben einige Wissenschaftler herausgefunden, dass man ihn häufiger während der Arbeit als in der Freizeit erlebt. Manche Forscher meinen, dies hänge damit zusammen, dass man während der Arbeit eher mit Herausforderungen konfrontiert sei, Probleme lösen müsse. Dazu muss man die eigenen Fertigkeiten anwenden und sich auf die Aufgaben konzentrieren.
Nehmen wir zum Beispiel an, Sie halten eine Belehrung vor einer großen Zuhörerschaft und das Thema ist außerordentlich kompliziert. Die Materie ist sehr schwierig und verlangt viel. Doch Sie haben sich gut vorbereitet, Sie haben studiert und Sie haben auf Ihrem Gebiet gewisse Fähigkeiten und Kenntnisse entwickelt. Diese Bedingungen können einen Zustand des Flow aufkommen lassen, bei dem Sie so vertieft in die Materie sind, dass Sie nicht einmal daran denken, wie die Belehrung verläuft. Sie denken nicht einmal: ,Ich bin der Dalai Lama.‘ Sie vergessen die Zeit, haben kein Bewusstsein für die eigene Identität mehr.“
Der Dalai Lama hörte mir aufmerksam zu. „Diese geistige Konzentration, in der man vollkommen in der Tätigkeit, mit der man eben beschäftigt ist, aufgeht, hört sich für mich so an wie die Verfassung des Geistes, die die buddhistische Psychologie als ‚meditative Stabilität’ bezeichnet. Ich glaube, dass jeder die Fähigkeit entwickeln kann, seine Aufmerksamkeit für eine längere Zeit auf einen bestimmten Gegenstand, eine bestimmte Aktivität zu richten. Eines der Merkmale einer solchen Konzentration ist das vollkommene Aufgehen in der jeweiligen Tätigkeit. In manchen Fällen können nicht einmal Störungen im unmittelbaren Umfeld dieser intensiven Fokussierung etwas anhaben. Ich habe Menschen kennen gelernt, die eine solche Geistesverfassung erlangt haben. So hatte zum Beispiel Gen Nyima-la, einer meiner früheren Lehrer, eine absolut erstaunliche Fähigkeit, sich zu konzentrieren. Wenn wir in die tiefe Kontemplation gelangten, konnte ich oft sehen, wie sich sein Gesichtsausdruck verwandelte. Befand er sich in diesem Zustand, so nahm er seine unmittelbare Umgebung fast überhaupt nicht mehr wahr. Kam dann etwa ein Schüler herein, um ihm eine Tasse Tee einzuschenken, so bemerkte er das ganz einfach nicht. Es war eine Art vollkommenes Aufgehen seines Geistes in der Kontemplation. Für mich klingt es so wie dieser ,Flow‘, den Sie beschreiben.“
Hier unterbrach ich ihn. „Ja, es klingt ähnlich. Wenn jemand also mit einer Arbeit beschäftigt ist und er sich im Flow befindet, dann kommt er an einen Punkt, wo er vollständig in seiner Arbeit aufgeht und sie nur um ihrer selbst willen tut. Er ist total darauf konzentriert, er tut die Arbeit nicht um des Geldes willen, nicht um des Ruhmes willen, er tut sie nicht, um seine Karriere voranzutreiben, er tut sie nicht einmal für das Wohl der Gesellschaft. Er ist so versunken in die Arbeit, so fokussiert darauf, dass die Arbeit selbst eine Quelle der
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