Glücksregeln für den Alltag
ungeheuere Angst, ja fast Todesangst hat, wo man unfähig für irgendeine Empfindung ist. Hier könnte man sagen, man ist in einem Zustand, wo man das Gefühl für die eigene Identität verliert, für die Zeit, für den Ort, an dem man sich befindet, und so weiter; man ist ganz und gar im Jetzt, aber dies geschieht nicht freiwillig. Dieser Zustand hat nicht mit einem besonderen Interesse oder Engagement für ein fesselndes Problem oder für eine Arbeit zu tun. Er ist ausschließlich der Angst zuzuschreiben, einer sehr großen Angst - es ist fast so, als befände man sich in einem Schockzustand.
Als ich aus meiner Heimat floh, weil die chinesischen Kommunisten einmarschierten, hatte ich solche Angst, dass ich möglicherweise für eine kurze Zeit in diesem Flow-Zustand war.“ Er lachte. „In meinem Kopf herrschte eine völlige Leere, ich war in einem Zustand totaler Gedankenlosigkeit.“ Sein ungebändigtes Lachen wurde stärker, während er Folgendes erzählt. „Ich erinnere mich noch an eine andere Begebenheit: Als ich sieben Jahr alt war, rezitierte ich ein Gebet, das ich auswendig gelernt hatte, vor einer riesigen Versammlung. Ich glaube, es waren mehrere tausend Mönche anwesend. Tausende Mönche waren versammelt und überdies eine Reihe hoher Regierungsbeamter. Ich war vollkommen... ich weiß nicht, ob dieses Wort zutreffend ist: verwirrt. Ich war in einem Zustand völliger geistiger Leere. Ich hatte das Gebet so gut auswendig gelernt, ich hatte die vorangegangenen Monate damit verbracht, es täglich zu üben und zu rezitieren. Also begann ich mit dem Gebet und dank meines intensiven Übens kamen die Worte ganz flüssig, ja automatisch heraus. Aber plötzlich herrschte in meinem Kopf eine völlige Leere. Nach zwei oder drei Minuten war eine Art Riss - und dann bemerkte ich ein paar Tauben, die hierhin und dahin liefen, und vor mir sah ich den Umze, der bei der Rezitation den Ton und Rhythmus angibt und als Vorsänger fungiert. Und da bekam ich einen furchtbaren Schreck. Wenn ich heute auf dieses Erlebnis zurückschaue, so glaube ich, dass dieser furchtbare Schreck vielleicht sogar mein Leben verkürzen mag.“
„Nun“, antwortete ich. „Ich glaube nicht, dass diese Art ‚Blackout’, bei dem man sich im Zustand größter Angst befindet, und der Flow-Zustand ein und dasselbe sind. Ich bin zwar kein Experte für Flow, aber hätte man eine Positronenemissionstomogra-phie oder ein Elektroenzephalogramm gemacht und die aktiven Bereiche Ihres Gehirns während der Rezitation gemessen, als Sie vor Tausenden von Mönchen standen und furchtbares Lampenfieber hatten, und diese Bereiche unter ganz anderen Umständen noch einmal gemessen, als Sie vollkommen in eine Arbeit vertieft waren, die Sie in einen Flow-Zustand versetzte, wäre vermutlich Verschiedenes herausgekommen - es wären zwei unterschiedliche Bereiche des Gehirns aktiviert gewesen. Denn wenn Sie im Flow-Zustand sind, können Sie sehr entspannt und in einer ruhigen Verfassung sein
„In diesen Flow sind Sie aber wirklich vernarrt, Howard“, rief der Dalai Lama amüsiert lachend.
„Nun, ich will nicht zu sehr darauf herumreiten, aber heutzutage ist viel davon die Rede, insbesondere in den neuesten Theorien über das Glück. Und einige der Publikationen scheinen diesen Zustand beinahe als den Höhepunkt aller menschlichen Erfahrung zu beschreiben, der die innere Entwicklung und die Entfaltung des eigenen Potenzials fördert.“
„Die Sache mit Theorien ist die, dass sie gewöhnlich eine Zeit lang recht beliebt sind“, sinnierte er. „Alle Welt spricht dann von diesen Dingen, aber irgendwann werden sie durch andere Theorien ersetzt oder zumindest modifiziert. Aber ich verstehe den Unterschied dessen, was Sie beschreiben. Wenn ich Sie also richtig verstehe, bedeutet dieser Flow, dass die Zeit für den Betreffenden verstreicht, ohne dass ihm die Anstrengung irgendwie bewusst war. Und dass man dabei etwas freiwillig tut. Und dass es etwas Interessantes ist, etwas, in das man gerne eintauchen und in dem man vollständig aufgehen möchte.“
„Das stimmt“, sagte ich.
„Nun, wie ich schon erwähnt habe, könnten vielleicht ein paar Dinge, wie bestimmte Meditationsübungen, bei denen man sich auf einen Gegenstand konzentriert, oder auch die analytische Meditation, dabei hilfreich sein. Aber ganz gleich, wie angenehm dieser Zustand sein mag, ich glaube nicht, dass er die wichtigste Quelle der Zufriedenheit, der Erfüllung oder des Glücks ist.“
Ich
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