Glücksregeln für den Alltag
dachte daran, wie ich meinen alten Chemieprofessor zum ersten Mal diesen Zustand des vollkommenen Vertieft-Seins in seine Arbeit beschreiben hörte, und erinnerte mich wieder, dass er von einem vollständigen Verlust von Identität und Zeitgefühl gesprochen hatte. Selbst heute noch klang das für mich sehr gut.
„Warum meinen Sie das?“, fragte ich.
„Weil Sie zum einen nicht ständig in diesem Zustand sein können. Mit Hilfe unserer Diskussionen und mit Hilfe des Buches, an dem wir arbeiten, versuchen wir eine andere Art Flow zu kreieren. Einen, den man vierundzwanzig Stunden täglich aufrechterhalten kann. Das ist unser Hauptziel - dem Leser etwas zu zeigen, das er in schwierigen Zeiten für sich nutzen kann; Faktoren, die unserem Geist helfen, ruhig zu bleiben, glücklich, ausgeglichen, wenn es nicht so gut läuft.
Denn selbst wenn Sie durch diesen Flow zeitweilig Glück erreichen, wird dieser Zustand nicht anhalten. Wirklich nötig haben wir aber eine dauernde Quelle der Zufriedenheit, des Glücks. Nehmen wir beispielsweise tantrische 6 Übungen zur Entwicklung von Glück - selbst diese Gefühle sehr intensiven Glücks und sehr großer Ekstase können nicht vierundzwanzig Stunden täglich aufrechterhalten werden. Daher glaube ich, dass dieser Flow-Zustand weder stetig noch nachhaltig ist; ich denke, es ist viel wichtiger, andere Quellen der Zufriedenheit bei der Arbeit zu erschließen, die in Erscheinung treten, wenn man seinen Geist schult, seine Sicht der Dinge und die eigene Haltung modifiziert und grundlegende menschliche Werte am Arbeitsplatz einbringt. Zum Beispiel mit destruktiven Emotionen gut umgehen zu können, die manchmal während der Arbeit entstehen, Wut, Neid und Gier zu verringern und die Beziehungen zu anderen Menschen so zu gestalten, dass sie von Freundlichkeit, Mitgefühl und Toleranz geprägt sind - das sind viel wichtigere und dauerhaftere Quellen der Zufriedenheit, als einfach zu versuchen, so viel Flow wie möglich zu schaffen.“
F low ist als eine optimale menschliche Erfahrung beschrieben worden, und wenn man Glück bei der Arbeit anstrebt, so ist leicht erklärlich, dass dieser Zustand, bei dem die Arbeit einen erfüllt und mit einem tiefen Gefühl von Zufriedenheit und Freude verbunden ist, gesucht wird. Aber der Dalai Lama hatte eine sehr wichtige Frage aufgeworfen: Wie zuverlässig ist der Flow-Zustand als primäre Quelle von Glück und Zufriedenheit bei der Arbeit?
Am Abend nach diesem Gespräch dachte ich über das, was der Dalai Lama gesagt hatte, nach und erinnerte mich plötzlich an eine Einzelheit in der Schilderung meines Professors, die ich bequemerweise vergessen hatte. Nachdem er mir von seiner Erfahrung berichtet hatte, hatte ich ihn gefragt, ob er so etwas schon früher einmal erlebt habe. „Oh, ja“, antwortete er, „in den vergangenen Jahren habe ich dies schon mindestens ein halbes Dutzend Mal erlebt.“ Offenbar war es so, wie der Dalai Lama gesagt hatte: Der Flow-Zustand hinterlässt etwas, was man als primäre Quelle des Glücks und der Befriedigung ersehnt. Einer Gallup-Umfrage zufolge gibt etwa ein Fünftel der amerikanischen Arbeitnehmer an, täglich ein gewisses Maß an Flow zu erleben, wobei Flow so definiert wird, dass die Menschen dabei so sehr in ihre Arbeit vertieft sind, dass sie das Zeitgefühl verlieren. Aber mehr als ein Drittel gab an, dass sie diesen Zustand selten oder nie erleben. Und diese Zahlen gelten nicht nur ftir die USA; eine deutsche Untersuchung hat dasselbe Zahlenverhältnis ergeben. Man hat verschiedene Methoden benutzt, um das Flow-Erlebnis im Alltag zu messen: Ob es qualitative Interviews waren oder schriftliche Tests oder „Realzeit-Techniken mit den Methoden der ESM (experience sampling method), alle Ergebnisse bestätigten, dass Flow nur zeitweilig auftritt, meist nur für kurze Zeit, und nichts ist, was man einen ganzen Arbeitstag hindurch mit bloßem Willen aufrechterhalten kann. So wie auch bei den meisten anderen menschlichen Charakteristika existieren hier beträchtliche individuelle Unterschiede; es gibt Menschen, die eher in der Lage sind, Flow zu erleben als andere.
Als ich einmal mit dem Dalai Lama über das menschliche Glück - sei es bei der Arbeit oder beim Spiel - sprach, erinnerte er mich daran, dass es verschiedene Ebenen und Kategorien des Glücks gibt. In dem Buch Die Regeln des Glücks unterschied er zwischen Vergnügen und Glück. Das Vergnügen kann sicherlich zeitweilig Glück hervorrufen und
Weitere Kostenlose Bücher