Glücksregeln für den Alltag
tatsächlich auszahlten.“
Natürlich ist Lena kein Einzelfall. Für viele von uns sind die Anforderungen, die unser Job an uns stellt, so groß, dass man zueilen leicht aus den Augen verlieren kann, was das Leben eigentlich lebenswert macht. Aber es lohnt sich durchaus, sich daran zu erinnern, was es lebenswert macht, und wie Lena sollten wir uns dies vielleicht regelmäßig ins Gedächtnis rufen, damit wir nicht am Ende unsere gesamte Identität und unseren Lebenssinn von der Rolle, die wir in unserer Arbeit spielen, abhängig machen.
M anche Menschen glauben vielleicht, Universitäts-Professoren oder Richter des Obersten Gerichtshofs hätten einen absolut sicheren Arbeitsplatz, doch verglichen mit dem Dalai Lama hängen die Stellungen dieser Leute an einem seidenen Faden. Nicht nur ist ihm seine Position als Dalai Lama auf Lebenszeit zugesichert, sondern sie ist ihm auch für zahllose zukünftige Leben garantiert. Das nenne ich Arbeitsplatzsicherheit.
Doch trotz seiner gefeierten und hoch angesehenen Rolle als weltberühmter geistiger Führer, als Oberhaupt des tibetischen Volkes und Friedensnobelpreisträger, wusste ich aus vielen früheren Gesprächen, dass er sich am stärksten mit seiner Rolle als „einfacher buddhistischer Mönch“ identifiziert. Nachdem ich dies jahrelang beobachtet habe, kam ich zu dem Schluss, dass er ein zutiefst bescheidener Mann ist, dem es irgendwie gelungen ist, sich nicht in das äußere Drum und Dran seines Titels oder seines Amtes als Dalai Lama zu verstricken; er sieht sich wirklich nur als gewöhnlicher Mönch.
Da seine persönliche Identität offenbar an seine Rolle als Mönch gebunden ist, zumindest bis zu einem gewissen Grade, und da wir Probleme erörtert hatten, die mit dem Verlust des Arbeitsplatzes und mit der Verbindung zwischen Arbeit und Identität zu tun hatten, kam mir eine Frage in den Sinn: Ich wollte gerne wissen, wie er reagieren würde, wenn er aus irgendeinem Grunde ganz plötzlich seinen „Job“ als Mönch aufgeben müsste Natürlich war das eine rein theoretische Frage, denn in Wirklichkeit ist das praktisch unmöglich. Aber mittlerweile war ich es gewohnt, wegen meiner unmöglichen oder dummen Fragen gelegentlich ein wenig von ihm aufgezogen zu werden; daher hielt mich das nicht davon ab, ihn dies zu fragen.
„Wie Sie wissen, haben wir in der Vergangenheit über die persönliche Identität gesprochen. Sie haben erwähnt, dass es viele Ebenen in der Identität eines Menschen geben kann, aber in Ihrem Falle ist wohl zu sagen, dass Sie sich von all den unterschiedlichen Rollen, die Sie innehaben, offenbar am stärksten durch Ihre Rolle als Mönch definieren. Gewissermaßen scheint diese Rolle fundamentaler für Ihre Identität zu sein als Ihr Amt als Dalai Lama. Zum Beispiel haben Sie mir einmal erzählt, dass Sie sich sogar in ihren Träumen als Mönch sehen
Er nickte. „Das stimmt.“
„Nur rein theoretisch gefragt — können Sie sich vorstellen, Ihren Job als Mönch zu verlieren? Mit anderen Worten, nehmen wir einmal an, Sie könnten zwar weiterhin Ihre tägliche Meditation und Ihre geistigen Übungen abhalten und ein Leben der Einfachheit führen und so weiter, aber Sie könnten Ihre Mönchsrobe nicht mehr tragen und auch keine Rituale mehr vollziehen; und Sie könnten auch nicht mehr der klösterlichen Gemeinschaft angehören. Und nehmen wir einmal an, Sie müssten sich Ihren Lebensunterhalt mit irgendeiner Tätigkeit verdienen. Können Sie sich vorstellen, wie Sie sich an diese Umstände anpassen würden? Welche Art Arbeit würden Sie gerne tun?“
Da ich wusste, wie wenig wahrscheinlich es ist, dass der Dalai Lama sich wirklich um eine neue Arbeit bemühen muss, machte ich mich darauf gefasst, wegen meiner Angewohnheit, zuweilen „belanglose“, „unmögliche“ oder „dumme“ Fragen zu stellen, aufgezogen zu werden. Aber zu meiner Überraschung schien er die Frage keineswegs auf die leichte Schulter zu nehmen. Sein Gesichtsausdruck war ungewöhnlich ernst (nun ja, fast ernst), als er nun gedankenvoll nickte und antwortete: „Ja... also, vor kurzem erst las ich einen tibetischen Text, den ein großer buddhistischer Meister verfasst hatte, der im ausgehenden 19. und frühen 20 Jahrhundert lebte. Und in diesem Text gab er seinen Schülern Ratschläge. Er erklärte ihnen, es sei wichtig für sie, den wahren Kern der Spiritualität zu verstehen. Sobald sie den wahren Kern der buddhistischen Übungen erkannt hätten, sollten sie sich, so
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