Glücksregeln für den Alltag
sein Rat, nicht in den äußeren Formen der Übungen verfangen, wie dem Rezitieren von Mantras, der körperlichen Askese, den Niederwerfungen, den Umschreitungen und so weiter. Natürlich gehört all dies zur buddhistischen spirituellen Praxis, doch es ist nicht das Wesentliche. Das Wesentliche der buddhistischen Praxis besteht darin, durch geistige Schulung eine innere Transformation zu erreichen. Und ich glaube, man kann sich immer dem Wesentlichen widmen, auch ohne äußere Formen.
Dieser Autor ermutigte diejenigen Schüler, die die herausragendsten Fähigkeiten besaßen und für die höchsten spirituellen Ideale eintraten, als Einsiedler in der Wildnis, in der Einsamkeit zu leben. Er zitierte ausführlich aus den so inspirierenden Liedern Milarepas. Ich war sehr bewegt von manchen Textstellen, vor allem von denen, die davon sprechen, an nicht festgelegten Orten zu leben, von der einfachen Ausrichtung des Geistes, von der einfachen Hingabe in der Meditation und so weiter. Während ich es las, musste ich an die Zeit denken, als ich jünger war, eine große Sehnsucht in mir trug und mich sehr zu dem Ideal einer Existenz als Einsiedler hingezogen fühlte; ich wollte gemäß dem tibetischen Ausspruch leben ,wie ein verwundetes Tier, das sich in die Einsamkeit zurückzieht’.
Diese Passagen weckten zwar jene alte Sehnsucht in mir, doch wurde mir natürlich gleich darauf bewusst, dass ich jetzt Mitte sechzig bin“, fuhr der Dalai Lama leicht wehmütig fort. „Viel Zeit ist vergangen. Und als Dalai Lama trage ich zudem viel Verantwortung. Dann kam mir der Gedanke, dass ich, selbst wenn ich diese Art Leben in der Einsamkeit wählen würde, noch nicht einmal etwas für mich kochen oder mir meinen Tee selbst zubereiten könnte.“ Er kicherte. „Und zum Schluss dachte ich noch an die ganz praktischen Umstände: etwa meine Sicherheit. Was ich wohl tun würde, wenn mir jemand etwas Böses antun wollte. Alle dies würde es mir sehr schwer machen, zu diesem Zeitpunkt meines Lebens die Existenz eines Einsiedlers zu führen.“
Der Dalai Lama schwieg einige Augenblicke lang, versunken in Gedanken, die er für sich behielt; vielleicht dachte er über den Werdegang seines Lebens nach. Ich weiß es nicht. Aber kurz darauf riss er sich daraus los und fügte hinzu: „Nun, wie auch immer - wenn ich jünger gewesen wäre und meine Lebensumstände andere gewesen wären, hätte ich gerne als Einsiedler gelebt. Ihre Frage erinnerte mich daran. Und um Ihre Frage, ob ich einen anderen Beruf oder eine andere Lebensweise gewählt hätte, wenn meine ganze Situation völlig anders gewesen wäre, zu beantworten - das ist das Einzige, was mir einfällt. Ansonsten fällt mir dazu nichts ein; der Gedanke kommt mir niemals in den Sinn.“
Z u der Zeit dieses Gesprächs hatte ich den Eindruck, dass die Lebensumstände des Dalai Lama so einzigartig sind, dass sich nur sehr wenig davon auf andere Menschen übertragen lässt. Denn schließlich sind nur wenige Menschen Mönche und noch weniger würden die einzige Alternative zu ihrem gegenwärtigen Job darin sehen, als Einsiedler zu leben. Doch als ich später unser Gespräch noch einmal im Geiste Revue passieren ließ, war ich mir nicht mehr so sicher, ob seine Gedanken nicht auch für alle anderen Menschen relevant sein könnten. Ein Schlüsselgedanke kam mir den Sinn: Man sollte das Wesentliche einer bestimmten Rolle der Aktivität eines Menschen herausdestillieren und seine Identität an das Wesentliche binden, statt an das äußere Drum und Dran Im Falle des Dalai Lama besteht die Arbeit eines Mönchs aus spirituellen Übungen. Die äußeren Aktivitäten oder Pflichten seines Berufs fordern bestimmte Rituale, Rezitationen, eine bestimmte Art der Kleidung und des Verhaltens. Das Wesentliche betrifft die innere Entwicklung. Selbst dann, wenn er die äußeren Formen aufgeben müsste - so hat er uns gezeigt -, hätte er immer noch die Möglichkeit, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen und weiterhin das für ihn Wesentliche zu tun.
Dies ist vermutlich etwas, was auch für andere Menschen gelten kann. Das Beispiel von Lena veranschaulicht, wie man Techniken entwickeln kann, um sein Selbstbild über die Grenzen seines Arbeitsplatzes hinaus zu erweitern. Sie hatte erkannt, dass die Visualisierung und die Vergegenwärtigung ihrer schlimmsten Ängste und das bewusste Nachdenken über die verschiedenen Rollen, die sie im Leben ausfüllte und die nichts mit der Arbeit zu tun hatten, eine effektive
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