Glücksregeln für den Alltag
mit seiner Arbeit bewirkt“, rekapitulierte ich. Dann gab ich dem Gespräch eine andere Wendung. „Neulich haben Sie gesagt, eine Methode, seine Arbeit in eine Berufung zu verwandeln, bestehe darin, sich bewusst zu machen, welchen umfassenderen Beitrag man damit leistet. Nehmen wir einmal an, ein Mensch langweilt sich und möchte sich deshalb die weiteren Implikationen seines Jobs bewusst machen. Statt nur an seinem Fließband zu sitzen und den ganzen Tag auf einen bestimmten Knopf zu drücken, beginnt er, sich Gedanken darüber zu machen, inwiefern seine Handlungen einen Beitrag für die Gesellschaft leisten, damit er wieder mit mehr Begeisterung an seine Arbeit gehen kann und mehr Interesse daran hat. Er beginnt also, die Dinge zu analysieren; doch dann muss er die Entdeckung machen, dass die Arbeit, die er tut, der Umwelt letztlich Schaden zufügt. Oder, sagen wir, er stellt etwas her, was zum Bau von Waffen verwendet wird. Sobald er darüber nachdenkt, erkennt er, dass seine Arbeit nicht produktiv, sondern in irgendeiner Weise destruktiv ist. Nun ist der Betreffende aber keineswegs wohlhabend; er kann nicht so einfach kündigen und sich einen besseren Job suchen, da er eine Familie zu ernähren hat und sich in seiner Gegend nicht viele andere Unternehmen befinden. Mich interessiert nun, was Sie dazu sagen würden.“
Der Dalai Lama schwieg einen Augenblick lang; instinktiv fuhr er sich mit einer Hand über seinen kahl geschorenen Schädel, während er dieses Dilemma bedachte.
„Das ist eine sehr komplizierte Frage. Hierbei sind so viele Faktoren im Spiel, dass es sehr schwierig ist, einen Rat zu geben, wie man dieses Problem definitiv angehen kann. Einerseits ist zu sagen: Wenn es sich herausstellt, dass Ihre Arbeit Teil der Waffenproduktion ist und wenn Sie sich den unmittelbaren Zweck einer Waffe klarmachen, werden Sie erkennen, dass sie der Zerstörung dient, dem Töten. Doch betrachten Sie das Ganze von einem globaleren Standpunkt aus, dann ist nicht zu leugnen, dass Gesellschaften aus Gründen der Sicherheit und der Verteidigung Waffen benötigen, sofern nicht ein grundlegender Wandel in allen Gesellschaften eintritt. Insbesondere für Amerikaner stellt es eine Herausforderung dar, dass es auf der Welt totalitäre Regime gibt, die gegen die Demokratie sind. Ich glaube, solange es solche Nationen gibt, muss auch die militärische Macht Amerikas vorhanden bleiben. Aber nehmen wir andererseits den Fall, der amerikanische Präsident würde seine militärische Macht für die Vernichtung oder Beseitigung eines einzelnen Menschen einsetzen, beispielsweise den politischen Führer eines gefährlichen, totalitären Regimes - ich weiß nicht, ob das dann wirklich angemessen ist oder nicht. Es ist ein sehr komplexes Problem.
Die Frage ist, wie ein Mensch, der in seiner Arbeit mit diesem Problem konfrontiert wird, damit umgeht; und auch das ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Denn einerseits ist Waffenproduktion natürlich etwas Zerstörerisches; andererseits brauchen Nationen Waffen für das Wohlergehen und die globale Sicherheit der Welt.
Und in Westeuropa gibt es beispielsweise Nationen, die Waffen herstellen, sie aber hauptsächlich zu Verteidigungszwecken verwenden und keinen Missbrauch damit treiben. Und Ähnliches gilt für die Vereinigten Staaten: Auch wenn die russische Bedrohung nicht mehr existiert, bedarf es einer abschreckenden Macht, solange es ein totalitäres Regime wie China mit einer riesigen militärischen Macht gibt. Dann erhebt sich wiederum die Frage, ob die politischen Führer dieser Länder die ihnen zur Verfügung stehende militärische Macht verantwortungsbewusst einsetzen. All das sind sehr komplexe Probleme. Und es steht einem Menschen, der moralische Bedenken wegen seiner Arbeit hat, frei, sich zu fragen, inwieweit es klug wäre, seinen Job aufzugeben, und wie wirksam das wäre. Denn vermutlich ist es ohne größere Bedeutung, ob ein Mensch kündigt oder weiterarbeitet. Es ist ein bisschen wie in der Geschichte der alten Tibeterin, die so wütend auf die tibetische Regierung war, dass sie der Regierung aus Protest einige Jahre lang den Rücken kehrte - was keinerlei praktische Wirkung hatte.“
„Sie meinen also, es wäre durchaus hinnehmbar, dass ein Mensch seinen Job behält, da er erkennt, dass seine Kündigung und der Verlust seines Lebensunterhalts sich langfristig gesehen nicht lohnen?“, fragte ich leicht überrascht. Empfahl er etwa anderen Menschen, auch bei einer
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