Glücksregeln für den Alltag
Schlachter waren oder Metallschmiede, die Schwerter herstellten, und so weiter. Und auch diese Berufe waren im Allgemeinen erblich.“
Ich widerstand seiner Aufforderung, meine Vision von einer vollkommenen Shangrila, einem paradiesischen Ort, aufzugeben, wo jeder heiter und glücklich mit einer nützlichen, gewaltlosen Arbeit beschäftigt war, und fuhr fort: „Wo wir gerade über die Arbeit und über die Durchführung des Diktums, keinen Schaden zuzufügen, sprechen - ich las einmal in einem Buch, dass Sie gesagt hätten, es habe eine Regel in Tibet gegeben, wonach jede neue Erfindung garantiert dem Wohl anderer dienen musste oder für mindestens sieben Generationen zumindest nicht schädlich sein durfte
Auf dem Gesicht des Dalai Lama zeigte sich Überraschung: „Davon habe ich noch nie gehört.“
Nun war es an mir, überrascht zu sein. „Stimmt das nicht? Es wurde Ihnen zugeschrieben.“
Er zuckte die Schultern und lachte. „Ich weiß nicht, wer dies geschrieben hat, vielleicht war es einer der so genannten Experten für Tibet. Manche dieser westlichen Experten wissen offenbar Dinge, von denen selbst wir Tibeter keine Kenntnis haben. Dennoch scheint es bestimmte Praktiken und Grundsätze gegeben zu haben, nach denen die tibetischen Regierungen verfuhren und die zeigten, dass bestimmte buddhistische Ideale in die Praxis umgesetzt wurden, wie zum Beispiel das buddhistische Prinzip der Achtung vor der Natur, insbesondere vor der Welt der Tiere. Zum Beispiel lebten früher alle Gemeinschaften, die in der Nähe des Yambrok-Sees siedelten, vornehmlich vom Fischfang. Ich hatte immer angenommen, man habe bei ihnen eine Ausnahme gemacht und ihnen erlaubt zu fischen; doch vor kurzem hörte ich von einem Prinzip, das während der Zeit des Fünften Dalai Lama befolgt wurde und wonach man sie davon abhielt zu fischen; um sie für eine besonders ergiebige Fischsaison zu entschädigen, schlossen sich einige andere Gemeinschaften zusammen und stellten ihnen den Gegenwert in Korn zur Verfügung, so dass der Verlust aufgewogen wurde. Und es gibt noch einen ähnlichen Fall: In der Gegend in der Nähe des Berges Kailash liegt der Manasarovar-See und während einer bestimmten Jahreszeit ziehen viele Wasservögel dorthin. Sie legen ihre Eier am Seeufer ab. Und offenbar gab es auch hier einen Erlass der Regierung, wonach während der Lege- und Brutzeit Wächter bestimmt werden mussten, um auf diese Eier aufzupassen. Natürlich mag es Menschen gegeben haben, die nicht nur den dafür bezahlten Lohn nahmen, sondern auch noch ein paar Eier. Solche Dinge kommen eben vor. Aber im Großen und Ganzen existiert die Grundhaltung, keinen Schaden zufügen zu wollen.
Allerdings befolgte man selbst in Tibet das Prinzip, mit der Arbeit niemandem zu schaden, nicht immer - beispielsweise gab es Schlachter, weil viele Tibeter Fleisch essen; also mussten Tiere getötet werden, um sie mit Fleisch zu versorgen. Dennoch war dieses Prinzip tief im Volk verwurzelt.
Ich glaube, das ist etwas, was auch für den Westen gelten könnte. Obwohl nicht jeder viele Wahlmöglichkeiten in Bezug auf seine Arbeit hat, halte ich es für gut, ernsthaft darüber nachzudenken, welche Art Arbeit man eigentlich tut und welchen Einfluss sie auf andere Menschen hat. Und in der modernen Welt, insbesondere in den industrialisierten Staaten, wo viele Menschen die Chance haben, sich ihre Arbeit selbst auszusuchen, ist es wohl am besten, eine Arbeit zu wählen, mit der man anderen keinen Schaden zufügt und sie weder ausbeutet noch betrügt — weder direkt noch indirekt. Ich halte das für das Beste.“
Damit fügte der Dalai Lama unserer Erörterung über die Frage nach dem Glück in der Arbeit eine letzte Komponente hinzu, einen aus buddhistischer Perspektive sehr wichtigen Faktor: Er empfahl zu prüfen, welche Auswirkung die eigene Arbeit auf andere hat, und sich zu vergewissern, dass man mit seiner Arbeit anderen nicht schadet - zumindest nicht absichtlich.
Zu einem früheren Zeitpunkt hatten wir über die unterschiedliche Einstellung, die man zur Arbeit haben kann, gesprochen, und darüber, dass Menschen, die ihre Arbeit als Berufung betrachten, eindeutig zufriedener sind. Menschen, die ihre Arbeit lieben und die sie auch dann weiterhin tun würden, wenn sie nicht dafür bezahlt würden (sofern sie es sich leisten könnten), die völlig in ihrer Arbeit aufgehen, die ihre Arbeit mit ihren Werten, ihrem Leben und ihrem ganzen Wesen in Einklang bringen - diese Menschen
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