Glücksregeln für den Alltag
moralisch fragwürdigen Arbeit zu bleiben?
„Das ist sehr kompliziert. Ich kann nicht sagen, was Menschen im Allgemeinen tun sollten. Denn natürlich wird das sehr vom Einzelnen abhängen. Es gibt Menschen, die wegen ihrer religiösen Überzeugungen größere Vorbehalte haben. Das ist sehr kompliziert, selbst für einen Buddhisten, der bestimmte Gelübde abgelegt hat, wonach er anderen Menschen keinen Schaden zufügen will. Sagen wir, der Betreffende ist tatsächlich Buddhist und es ist eindeutig moralisch besser für diesen Menschen, die potenzielle zerstörerische Wirkung der Unternehmung, an der er beteiligt ist, wahrzunehmen,. Nun muss er entscheiden, ob er den nächsten Schritt machen möchte, der darin besteht, zu kündigen - und zwar trotz der Erkenntnis, dass er durch seine Kündigung gar nichts ausrichtet und dass die eigene Familie in Folge der Kündigung vielleicht Not leiden wird.
Zuvor haben wir über den Fall gesprochen, wo Menschen in der Lage sind, die Art der Arbeit, die sie tun, frei zu wählen, und deshalb eine Arbeit wählen, die anderen nicht schadet - weder direkt noch indirekt. Aber dies ist ein Fall, wo ein Mensch bereits eine Beschäftigung hat, jedoch später entdecken muss, dass seine Arbeit indirekt Schaden anrichtet. Man muss also jeden Fall gesondert sehen und alle Variablen berücksichtigen, das Ausmaß des Schadens, die jeweiligen Werte des Menschen und so weiter. Und hier kommen die individuellen Unterschiede zum Tragen.“
Ich wollte wissen, ob auch kulturelle Unterschiede eine Rolle spielten. „Gibt es Ihrer Erfahrung nach auch kulturelle Unterschiede in der Haltung zur Arbeit, so wie es individuelle Unterschiede gibt? Unterscheiden sich in dieser Hinsicht die östlichen oder asiatischen Länder von den westlichen? Und sehen beispielsweise die Tibeter Arbeit anders als Amerikaner, Europäer oder Menschen aus anderen Kulturen?“
„Zunächst einmal glaube ich, dass es gefährlich ist, die Dinge allzu sehr zu verallgemeinern“, meinte der Dalai Lama, „indem man sagt, östliche Menschen denken so, westliche Menschen denken anders; als ob alle Menschen, die aus einer bestimmten Region kommen, gleich wären. Aber natürlich lässt sich gar nicht bestreiten, dass individuelle Unterschiede existieren; vermutlich gibt es lokale, nationale, regionale und kulturelle Unterschiede in der Haltung zur Arbeit. Und das mag einen Einfluss darauf haben, wie zufrieden die Menschen jeweils sind. Beispielsweise gibt es in Indien bestimmte Arbeiten, wie das Bedienen in Restaurants, die als erniedrigend gelten; und diese Einstellung teilen auch die in Indien lebenden Tibeter. Ich habe Tibeter kennen gelernt, die in irgendwelchen Büros der Regierung arbeiteten und für die es niemals in Frage gekommen wäre, in einem Restaurant zu arbeiten. Aber dann emigrierten sie in die Vereinigten Staaten und waren bereit, als Tellerwäscher in Restaurants zu arbeiten; sie waren sehr zufrieden mit dieser Tätigkeit. Anscheinend war sie ihnen nur dann peinlich, wenn andere Tibeter in das Restaurant kamen. Das ist deshalb so, weil eine solche Arbeit in Amerika als weniger erniedrigend angesehen wird; das zeigt, wie die Kultur, die uns umgibt, einen Einfluss darauf haben kann, wie zufrieden wir mit unserer Arbeit sind.“
„Nun, ich bin mir nicht sicher, ob es in Amerika nicht doch auch Vorurteile gegen bestimmte Tätigkeiten gibt“, wandte ich ein. „Ich glaube, selbst in den Vereinigten Staaten gibt es kulturelle Vorurteile gegen manche Arten von Arbeit. Man wird weitgehend nach dem Status des Jobs beurteilt.“
„Aber in Indien ist es viel schlimmer“, konterte er. „Dort gibt es viel mehr Vorurteile gegen solche Tätigkeiten. Und ich glaube, in westlichen kapitalistischen Gesellschaften wird man mehr nach der Menge des Geldes, die man verdient, beurteilt, als nach der Art des Jobs, den man hat. Wenn Tellerwäscher immer sehr viel Geld verdienten, würde die Tätigkeit nicht als erniedrigend angesehen werden. Geld ist also der entscheidende Faktor. In Indien und auch in anderen Ländern dagegen gibt es Vorurteile gegen bestimmte Tätigkeiten an sich, wenn sie mit einer dienenden Stellung zu tun haben. Ich glaube, die Tatsache, dass Freiheit und Gleichheit in Amerika so hochgehalten werden, verringert bis zu einem gewissen Grade das Vorurteil gegen solche Jobs, zumindest, solange die Arbeit ehrlich ist. In diesem Fall ist der Mensch wichtiger als der Job. Als ich zum Beispiel den ehemaligen
Weitere Kostenlose Bücher