Glücksregeln für den Alltag
sind ordinierter Mönch, Sie sind Oberhaupt des tibetischen Volkes, Sie sind Staatsmann, Lehrer und buddhistischer Gelehrter; zudem halten Sie Vorträge und nehmen an Konferenzen auf der ganzen Welt teil. Sie üben sehr viele Aktivitäten aus und nun würde ich gerne wissen — was betrachten Sie als Ihre Arbeit in der Welt? Ihren Job?“
„Natürlich, ich bin Mönch, ich bin buddhistischer Mönch. Und die Arbeit eines Mönchs - oder sein Hauptinteresse - besteht aus dem Studium und der Praxis des Buddhismus. Und dann ist das Wichtigste für mich, anderen durch Spiritualität, durch meine eigene Erfahrung zu helfen. Das ist die Hauptsache, nicht wahr? Wenn ich also Vorträge halte, versuche ich, mit meinen Zuhörern die Erkenntnis zu teilen, was nach meiner eigenen Erfahrung ein gutes, sinnvolles Leben ist.
Wenn Sie über meine weltliche Arbeit sprechen, meine Arbeit in der Welt, so gründen meine Aktivitäten und meine Entscheidungen auf buddhistischen Grundsätzen. Und die basieren sowohl auf dem buddhistischen Prinzip von Mitgefühl als auch auf der Auffassung, dass alles wechselseitig voneinander abhängt. So ist beispielsweise meine Politik des Mittleren Weges, meine Art, an das politische Problem Tibets heranzugehen, geprägt von meiner Überzeugung von der Interdependenz der Dinge, davon, dass in der heutigen Welt alle Länder gegenseitig voneinander abhängig sind. Natürlich hängt für Tibet viel von Indien ab und viel hängt von China ab. Bei dieser Politik sehen Sie also den Einfluss buddhistischer Prinzipien, wie dem der Gewaltlosigkeit zum Beispiel. Wir fangen keinen Krieg mit den Chinesen an, um unser Land zurückzubekommen. Und ich glaube, alle meine Tätigkeiten sind von buddhistischen Grundsätzen bestimmt. Das heißt, vielleicht nicht alle; wenn ich zum Beispiel einen Schraubenzieher benutze, so hat das vermutlich nichts mit buddhistischen Auffassungen zu tun. Ich weiß nicht“ - er lachte -, „ich glaube, dass ich im Übrigen den größten Teil meines täglichen Lebens als Mönch, als praktizierender Buddhist zubringe. Beispielsweise stehe ich jeden Morgen um halb vier auf und widme mich dem Studium, dem Gebet und der Meditation. Natürlich neckt mich mein Bruder damit -er meint, ich stände so früh auf, weil ich Hunger hätte und mein Frühstück wollte.“ Er lachte erneut. „Das mag stimmen, aber ich glaube, der Hauptgrund ist meine buddhistische Praxis. So ist also das Studium und die Praxis als Mönch mein einziger Beruf. Es gibt nichts anderes. Nichts.“
„In Ordnung“, sagte ich, „aber ich weiß, dass Sie neben Ihrer spirituellen Praxis als Mönch viele tägliche Aufgaben haben. Sie erwähnten die politische Situation Ihres Landes, und ich weiß, dass eine Menge Pflichten und Arbeit mit Ihrer Funktion als Oberhaupt des tibetischen Volkes verbunden sind. Inwieweit tragen Ihre anderen Tätigkeiten, wie zum Beispiel Ihre politischen Aufgaben, zu Ihrem Glück und zu Ihrer Zufriedenheit bei? Haben Sie das Gefühl, dass sie dabei eine Rolle spielen?“
Der Dalai Lama erklärte: „Es besteht zweifellos eine Wechselbeziehung zwischen der Befriedigung, die Sie an Ihrem Arbeitsplatz finden, und einem allgemeinen Gefühl von Erfüllung. Doch ich weiß nicht recht, ob meine eigene Erfahrung für viele Menschen gelten kann. Zum Beispiel unterhielt ich mich heute Morgen mit einigen Mitgliedern des tibetischen Sekretariats und wies auf die tibetische Geschichte hin: Wir Tibeter haben über viele Generationen hinweg die wichtigen Veränderungen nicht beachtet, die um uns herum vorgingen; und nun sind wir an einem Punkt, wo viel von dem dadurch entstandenen Schaden bereits irreparabel ist. So hat meine Generation in gewisser Weise eine Krise ,geerbt“, die tragische Folgen für unsere Kultur und das Volk als Ganzes hatte. Doch gleichzeitig gibt mir die Tatsache, dass ich in solch einer schwierigen Zeit Tibeter und noch dazu der Dalai Lama bin, eine hervorragende Gelegenheit, dem Wohle meines Volkes zu dienen und das Überleben seiner Kultur zu sichern.“
„Das scheint sich auf das zu beziehen, was wir neulich über Herausforderungen festgestellt haben. Sie meinen, je größer die
Herausforderung, desto größer die Befriedigung, die man aus seiner Arbeit zieht, nicht wahr?“, fragte ich.
„Ja, sicher. Wenn ich von mir und meiner Verantwortung für das tibetische Volk und die Nation spreche, so ist, wie ich schon sagte, unsere gegenwärtige Tragödie das Ergebnis vieler komplexer
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