Glücksregeln für den Alltag
Faktoren; dazu gehört auch die lange Vernachlässigung und Unkenntnis von den Ereignissen der Außenwelt. Doch wenn ich den Ernst der Lage erkenne, die Tatsache, dass das Überleben der Tibeter als Volk mit seinem einmaligen kulturellen Erbe bedroht ist, dann vermag ich auch den Wert des kleinsten Beitrags, den ich zum Schutze des tibetischen Volkes leiste, zu schätzen. Und das verstärkt meine Einsicht dafür, dass meine Arbeit für die Sache Tibets ein Teil meiner lebenslangen täglichen spirituellen Praxis ist, der Praxis eines Menschen, der aus tiefstem Herzen glaubt, dass es das höchste Ziel eines spirituell Übenden ist, anderen Menschen zu helfen. Auf diese Weise ist mein eigenes Leben, meine Arbeit eng mit meiner täglichen Gebets- und Meditationspraxis verbunden. Ich finde die analytische Meditation zum Beispiel hilfreich, um eine noch tiefere Überzeugung von den Prinzipien der Gewaltlosigkeit, des Mitgefühls und der Versöhnung zu gewinnen - insbesondere gegenüber den kommunistischen Chinesen. Sie sehen also, es gibt eine Art wechselseitigen Einfluss zwischen meiner Verpflichtung zu bestimmten spirituellen Werten, meiner täglichen spirituellen Praxis, ihrer Auswirkung auf mein Denken und meine Lebenseinstellung insgesamt und darauf, wie sie wiederum auf meine politische Arbeit für das tibetische Volk zurückwirken. Und meine politische Arbeit hat wiederum Einfluss auf meine spirituelle Praxis. Denn zwischen allem besteht eine wechselseitige Beziehung. Ich genieße zum Beispiel ein gutes Frühstück, denn es trägt zu meiner Gesundheit bei. Und wenn ich mich einer guten Gesundheit erfreue, so kann ich mein Leben dazu benutzen, mit meiner Arbeit weiterzumachen. Selbst ein einfaches Lächeln kann eine Wirkung auf meinen gesamten Geisteszustand haben. Also ist alles miteinander verbunden, wechselseitig voneinander abhängig. Wenn Sie sich bewusst machen, dass alle Aspekte Ihres Lebens miteinander verbunden sind, dann werden Sie verstehen, wie unterschiedliche Faktoren — Ihre Werte, Ihre innere Einstellung, Ihre emotionale Verfassung — zu Ihrem Gefühl für Erfüllung in der Arbeit und zu Ihrer Zufriedenheit und Ihrem Glück im Leben beitragen können.“
S chließlich und endlich ergaben die Dinge ein Gesamtbild. Ich verstand nun, wie der Dalai Lama sagen konnte „ich tue nichts“, als ich ihn bat, seine Tätigkeit zu beschreiben. Da ich seinen heiteren Humor kannte, wusste ich natürlich, dass dies nicht ganz ernst gemeint war. Und hinter seiner scherzhaften Aussage, „ich tue nichts“, stand seine natürliche Abneigung gegen eine unnötige Würdigung seiner Selbst - die ich bereits bei vielen Gelegenheiten beobachtet hatte. Ich hatte den Eindruck, dass sie mit seiner geringen Neigung zusammenhing, sich mit sich selbst und seiner Person zu beschäftigen oder sich darum zu kümmern, wie andere seine Tätigkeit sehen.
Aber darin lag noch eine tiefere Wahrheit. Wie ich im Laufe unserer Diskussion über persönliche Stärken allmählich verstanden hatte, ist er ein Mensch, dessen Selbst vollständig in Arbeit aufgeht. Sein Privatleben und sein Arbeitsleben sind vollkommen integriert - so sehr, dass es keine Trennung zwischen seinem Privatleben, Arbeitsleben, spirituellen Leben oder seinem häuslichem Leben gibt. Und da es seiner Persönlichkeit nicht entsprach, eine bestimmte Funktion in eine „Job“-Kategorie auszugliedern, hat er keine spezifische Arbeit. Er tut „nichts“. Tatsächlich hatte ich mit Erstaunen beobachtet, dass er, wohin er auch immer ging, ganz er selbst war - er scheint in jeder Umgebung derselbe zu sein. Er hat keine „Außer-Dienst“-Persönlichkeit.
Da der Dalai Lama bei jeder Aktivität ganz und gar präsent ist, besteht kaum die Notwendigkeit, dass er sein Verhalten dem Umfeld entsprechend modifiziert oder verändert. Er ist, ob zu Hause oder „in der Arbeit“, immer derselbe. Eine solche Lebensführung muss mit einem immensen Gefühl der Freiheit verbunden sein, sinnierte ich. Ich erinnerte mich an die ungewöhnliche Szene, die ich ein Jahr zuvor miterlebt hatte: Der Dalai Lama besuchte Washington D. C. und an einem Abend nahm er an einem Empfang teil, der zu seinen Ehren im Kapitol veranstaltet wurde. Washingtons gesamte Elite war eingeladen - eine Art Who‘s who der politischen Drahtzieher. Das Ereignis fand im kostbar ausgestatteten Saal auf der Senatsseite des Kapitols statt. Botschafter, hochrangige Senatoren und Kongressmitglieder schritten lautlos über
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