Glücksregeln für den Alltag
wurde ich eines noch ungewöhnlicheren Anblicks gewahr: Der Dalai Lama hielt liebevoll die Hand des Mannes, der neben ihm saß, ein bekannter, erfahrener, alter Politiker, dem er eben erst begegnet war. Er hielt diese Hand, wie er die Hand eines Kindes gehalten hätte, und der Mann, der nur wenige Augenblicke zuvor hart und undurchdringlich gewirkt hatte, schien plötzlich sichtlich weicher, menschlicher zu werden.
Während dies geschah, plauderte ich mit dem obersten Sicherheitsbeamten des Außenministeriums, der mit der Sicherheit des Dalai Lama beauftragt war. Er hatte dies auch schon bei früheren Besuchen getan, und er erzählte mir, das sei seine Lieblingsaufgabe, nicht nur, weil der Dalai Lama, anders als manche andere Diplomaten, die bis drei Uhr morgens in Diskos gehen wollten, jeden Abend um neun Uhr zu Bett ging, sondern auch, weil er eine echte Bewunderung für ihn empfand, „Ich bin natürlich kein Buddhist“, sagte er, „aber der Dalai Lama hat mich wirklich inspiriert.“
„In welcher Hinsicht?“, fragte ich.
„Ich glaube, es hat wohl vor allem damit zu tun, dass er - wie ich bemerkt habe -, wo immer er hingeht, gerne mit den Chauffeuren, den Hauswarten und den Kellnern spricht, dem ganzen Dienstpersonal eben. Und er behandelt jeden gleich.“ Genau das hatte ich soeben miterlebt. Er behandelte alle mit demselben Respekt. Es gab keinen Unterschied in seinem Verhalten gegenüber dem Kellner oder den Mehrheitsführern im Senat. Sein Auftreten, seine Haltung, seine Art zu reden und sein Benehmen waren immer gleich, ob er mit einem Zimmermädchen in einem Hotel, dem Chauffeur auf dem Weg zu einem Empfang oder mit einem Spitzenpolitiker in den Vereinigten Staaten sprach.
Hier also war die Antwort: Da er es nicht nötig hatte, sich zu verstellen, nicht nötig hatte, sich in der Öffentlichkeit oder „in der Arbeit“ anders als im Privatleben zu verhalten und einfach er selbst sein konnte, egal, wohin er ging, wirkte seine Arbeit mühelos. Natürlich müssen die meisten Menschen einen langen Weg zurücklegen, um diesen Grad der Integration zu erreichen. Aber je mehr wir die Kluft verringern können zwischen dem, wer wir sind, und dem, was wir tun, desto müheloser wird unsere Arbeit werden.
EPILOG
D er Bedienstete des Dalai Lama, ein großer, sanfter tibetischer Mönch, der in die traditionelle kastanienbraune Robe gekleidet war und wie immer ein Lächeln auf dem Gesicht hatte, betrat ruhig den Raum und begann diskret, das Teeservice abzutragen. Ich begriff, dass die letzten Minuten unseres Treffens angebrochen waren. Da sich unsere Zeit also dem Ende näherte, nahm ich mein Notizbuch und schaute auf die Liste der Themen, die ich eigentlich gerne noch durchgegangen wäre.
„Wir haben nicht mehr viel Zeit, aber es gibt noch immer viele Dinge, die ich Sie gerne fragen würde. Ich denke, wir haben eine Menge Dinge zur Sprache gebracht, die die Menschen unglücklich bei der Arbeit machen, aber da sind noch immer ein paar Punkte, die wir nicht behandelt haben - zum Beispiel das Problem der Ethik bei der Arbeit, die Unzufriedenheit, die entsteht, wenn die persönlichen Werte und ethischen Prinzipien eines Menschen nicht mit den ethischen Werten des Unternehmens übereinstimmen, für das er arbeitet; ferner das Problem, wenn Menschen Wirtschaftsskandale oder Firmenskandale auffliegen lassen; und außerdem würde ich gerne noch ausführlicher auf die zwischenmenschlichen Beziehungen in der Arbeit und im Geschäftsleben eingehen, die zwischen den Mitarbeitern, aber auch die zwischen Chef und Angestellten und
Der Dalai Lama unterbrach mich: „Howard, wenn wir uns auf eine zu detaillierte Diskussion über die Arbeitswelt einlassen oder auf die ganz spezifischen Probleme, auf die Menschen in ihrer Arbeit stoßen können, dann kommen wir nie zu einem Schluss -denn schließlich gibt es sechs Milliarden Menschen auf der Erde, und jeder hat vermutlich seine ganz individuellen Probleme. Und hier rühren Sie auch an einen ganz anderen Bereich. Bisher haben wir im Allgemeinen vom Standpunkt des Arbeiters, des Angestellten über das Glück in der Arbeit gesprochen; wir haben die Maßnahmen erörtert, die sie ergreifen können, um mit Hilfe ihrer eigenen Anstrengungen zufriedener in ihrer Arbeit zu werden
- indem sie ihre Ansichten ändern, sich selbst besser verstehen lernen und so weiter. Aber das ist nur ein Teil des Gesamtbildes. Denn auch der Arbeitgeber, das Management und die Organisation spielen eine
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