Glücksspiel der Liebe
Seit der furchtbaren Szene in eben diesem Salon hatte sie ihn weder gesehen noch ein Wort von ihm erhalten; keinen Beweis, dass er noch Gefühle für sie hegte. Falls er das jemals getan hatte. Gut möglich, dass sie ihn niemals wiedersah. Zumindest nicht in Fleisch und Blut. In ihrem Geiste war er jeden wachen Moment bei ihr und besuchte sie in ihren Träumen während der langen, ruhelosen Nächte. Mit jedem Tag, der vorüberging, schwand die Hoffnung.
Sie hatte dem Drang widerstanden, ihr Exemplar von Der Schönen Hingabe aufzuschlagen, seine Worte über Leidenschaft und Begehren und Verführung zu lesen. Sie konnte es einfach nicht ertragen. Das Buch lag in braunes Packpapier gewickelt in ihrem Koffer, unter Trödel und Andenken an ihre Kindheit, wo es irgendwann in Vergessenheit geraten würde. Wie auch alle Erinnerungen an Jonathon hoffentlich eines Tages verblassen würden.
Oliver sah zu ihr hinüber und lächelte. Er sagte etwas zu seinen Freunden und kam dann auf sie zu. Die vergangenen Tage war er wirklich wunderbar gewesen und hatte Daniel als neues Familienmitglied willkommen geheißen, gleich wie schwach das Band auch sein würde. Er hatte Daniel bei allen rechtlichen Fragen und Dokumenten geholfen. Um die Wahrheit zu sagen, waren er und Daniel dicke Freunde geworden. Wer hätte gedacht, dass ein englischer Lord und ein amerikanischer Abenteurer so schnell Freundschaft schließen konnten?
»Fiona, du siehst heute ganz besonders bezaubernd aus.« Oliver lächelte sie warm an.
»Aber natürlich.« Tante Edwina war beleidigt. »Obgleich ich doch wünschte, wir hätten etwas mehr Zeit für ein anständiges Kleid gehabt.«
»Das ist ein anständiges Kleid«, gab Fiona mit Leidensmiene zurück.
In Wahrheit war es ein wunderschönes, blassgelbes Kleid — mehr als anständig für eine Hochzeitsfeier, die in nur drei Tagen ausgerichtet worden war, und für die weder Braut noch Bräutigam besondere Begeisterung zeigten. Dennoch und ungeachtet aller widrigen Umstände gedachte Tante Edwina, dieses Ereignis zu einem unvergesslichen Fest zu machen. Die Hochzeit, von der Fiona eigentlich immer geträumt hatte. Aber nicht als bloße Formalität.
»Fiona, bist du wirklich sicher...«, fragte ihre Tante zum wiederholten Male.
»Ja.« Fiona nickte. Ihre Tante kannte zwar nun das Testament, nicht aber die Vereinbarung mit Daniel. Und Fiona hatte nicht die Absicht, ihr das mitzuteilen. »Daniel Sinclair wird ein wunderbarer Gatte sein, er ist ein sehr netter Mann und ich werde glücklich mit ihm werden.« Sie warf Oliver einen flüchtigen Blick zu. »Hast du ihn schon gesehen?«
»Er wartet mit dem Anwalt in der Bibliothek auf dich. Um die Papiere zu unterschreiben.«
»Papiere?«, fragte Tante Edwina.
»Nichts von Bedeutung.« Fiona hob das Kinn. »Wir sollten das erledigen.«
»Darf ich?« Oliver bot ihr seinen Arm. Dankbar nahm sie ihn an und ließ sich aus dem Raum geleiten. »Es tut mir Leid, Fiona. Alles. Ich hätte niemals in Jonathons Plan einwilligen dürfen.«
»Nein, das war ein Fehler.« Sie erreichten die Tür zur Bibliothek und sie sah zu ihm auf. »Aber du hast es nur gut gemeint.«
Er zuckte leicht zusammen. »Wenn du das sagst, klingt es gar nicht gut.«
»Es war eine absurde Idee.«
Verlegen grinste er. »Aber nicht meine erste und sehr wahrscheinlich auch nicht meine letzte absurde Idee.«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn leicht auf die Wange. »Ich verzeihe dir trotzdem. Du wolltest mir ein guter Bruder sein.«
»Du darfst nie vergessen, Fiona.« Er wurde plötzlich sehr ernst. »Ich will nur, dass du glücklich bist. Und ich werde alles unternehmen, gleich wie absurd es auch sein mag, um das zu erreichen.«
»Es gibt nichts mehr zu tun.« Sie holte tief Luft und nickte.
Oliver öffnete die Tür und bat sie, einzutreten. »Ich muss mich noch um etwas kümmern. Dauert nur einen Moment.«
Sie trat in den Raum und Oliver schloss die Tür hinter ihr. Sofort fiel ihr auf, dass der große Tisch, an dem sie mit Jonathon an dem Buch gearbeitet hatte, entfernt worden war. Ein Gefühl von Unabänderlichkeit bemächtigte sich ihrer. Als bedeute die Entfernung des Tisches endgültig das Ende ihrer gemeinsamen Arbeit und allem, was damit zusammenhing.
Daniel saß auf der Schreibtischkante, stand aber bei ihrem Eintreten auf.
Sie blickte sich um. »Wo ist der Anwalt?«
»Ich muss allein mit Ihnen sprechen.« Daniel fühlte sich sichtlich unbehaglich. »Uber die
Weitere Kostenlose Bücher